Im Brandfall – Türe zu und raus!
Author: Gerd Grüner
Brände entstehen jeden Tag, überall auf der Welt. Ein besonders riskantes Pflaster sind Großstädte. Wie groß ist eigentlich das Risiko, dass es im Büro brennt? Und wie verhält man sich im Fall eines Falles? DEKRA Experte Lars Inderthal steht Rede und Antwort.
Dem Brandschutz im Unternehmen nähern sich Geschäftsführung und Mitarbeiter häufig mit einem hohen Maß an Unbekümmertheit. Fluchtwege und Alarmpläne? Gibt es ganz bestimmt. Brandschutztüren? Sind eher lästig und werden mit einem Keil offengehalten. Die Kaffeemaschine mit dem geflickten Stromkabel in der Büroküche? Funktioniert stets einwandfrei. Das Risiko, dass es im Büro brennt? Geht gegen Null. Solche Statements klingen zunächst zwar lässig – an der Lebenswirklichkeit gehen sie jedoch völlig vorbei. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat dazu bereits am 14. November 1985 eine bemerkenswerte Urteilsbegründung geliefert. Darin heißt es: „Der Umstand, dass in vielen Gebäuden jahrzehntelang kein Brand ausbricht, beweist nicht, dass keine Gefahr besteht, sondern stellt für die Betroffenen einen Glücksfall dar, mit dessen Ende jederzeit gerechnet werden muss“ (Aktenzeichen 5 K 1012/85). Die bittere Realität: Brände entstehen jeden Tag, überall auf der Welt und oft mit gravierenden Folgen für Leib und Leben. Die im slowenischen Ljubljana residierende International Association of Fire and Rescue Services (CTIF) hat in ihrem aktuellen Report für 2019 die internationalen Statistiken zur Brandsituation in rund 30 Staaten ausgewertet. Demnach kam es im Berichtsjahr zu rund drei Millionen Feuerwehreinsätzen in Verbindung mit Bränden, bei denen mehr als 19.000 Menschen ihr Leben verloren.
Für den Brandschutz ist die Großstadt ein besonders heißes Pflaster
Ein besonders riskantes Pflaster sind dem Report zufolge Großstädte. Dort entstehen rund 39 Prozent der Brände in Gebäuden (28,4 Prozent Wohngebäude, 10,5 Prozent andere Gebäude). Die in Deutschland verfügbaren Daten deuten in eine ähnliche Richtung. Nimmt man die Todesursachen-Statistik des Statistischen Bundesamts unter die Lupe, sind im Jahr 2020 etwa 420 Menschen im Zusammenhang mit Rauch, Feuer und Flammen in Gebäuden oder Bauwerken ums Leben gekommen. Auch wenn sich die Daten im Detail nicht immer den Brandorten und Brandursachen zuordnen lassen – das Risiko von Personenschäden besteht bei einem Brand am Arbeitsplatz allemal. Ein im Februar 2020 vorgelegter technischer Bericht der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) zur Wirksamkeit von Brandschutzmaßnahmen geht davon aus, dass im Bereich der Gebäudenutzungen rund 50 Prozent der Brandalarme aufs Konto von Wohn-, Geschäfts- und Verwaltungsgebäuden gehen. Ebenfalls ein Trend: 16 Prozent der Brände ereignen sich in eingeschossigen Gebäuden, 68 Prozent in mehrgeschossigen Gebäuden und neun Prozent der Brände ereignen sich in Hochhäusern mit einer Höhe von mehr als 22 Metern.
Elektrizität ist ein Top-Verursacher von Bränden in und an Gebäuden
Tatsächlich kann ein Feuer im Büro wie aus heiterem Himmel ausbrechen. Allerdings ist dabei in den meisten Fällen keine höhere Gewalt im Spiel. Das Kieler Institut für Schadenverhütung und Schadenforschung hat in seiner Brandursachen-Statistik für das Jahr 2020 rund 2.000 Brandursachen-Ermittlungen durchgeführt. Dabei wurden in erster Linie Brände untersucht, die erhebliche Schäden in und an Gebäuden verursacht haben. In der Negativ-Liste der häufigsten Brandursachen stehen Elektrizität (31 Prozent), menschliches Fehlverhalten (20 Prozent), Brandstiftung (12 Prozent) und Überhitzung (8 Prozent) ganz oben. In 19 Prozent der Fälle ließen sich die Ursachen nicht ermitteln. Unter Fachleuten dürfte die Reihenfolge dieser Liste kaum für Überraschung sorgen – diese Verteilung der Brandursachen ist in den meisten relevanten Statistiken der letzten 18 Jahre relativ stabil. Wenn aber die Gefahr erkannt ist, warum ist sie dann nicht längst gebannt? „Wenn der Brandschutz im Büro nur die zweite Geige spielt, steckt oft mangelndes Gefahrenbewusstsein, bisweilen wohl aber einfach nur Gedankenlosigkeit dahinter“, erklärt Lars Inderthal, Fachgebietsverantwortlicher Brandschutz bei DEKRA. Der Experte, selbst Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr in Mittelhessen und Autor zahlreicher Fachbeiträge und Bücher in Sachen Brandschutz, kennt die einschlägigen Szenarien in den Büros. Demnach ist ein Kurzschluss oder eine Überhitzung immer drin, wenn zum Beispiel in der Büroküche ein defekter Wasserkocher zum Einsatz kommt. Auch die beliebten Mehrfachstecker sind eine Gefahrenquelle, vor allem wenn mehrere Stecker ineinandergesteckt sind und die angeschlossenen Geräte zur Überlastung und Überhitzung eines Steckers führen. Selbst das Aufladen des Smartphone-Akkus ist nicht ohne Risiko – einmal das Ladekabel vom Arbeitskollegen ausgeliehen, schon kann es aufgrund mangelnder Kompatibilität zu einer Überhitzung und in der Folge zu einem Brand kommen. Richtig brenzlig dürfte es werden, wenn ein Mitarbeiter in der Büroküche sein Plastikgeschirr auf der Kochplatte liegen lässt, das sich nach dem Einschalten des Herds unbemerkt entzündet.
Beim Brandschutz im Büro steht vor allem der Arbeitgeber in der Pflicht
„Eine sehr gute Brandschutzmaßnahme wäre es natürlich, wenn ein Unternehmen dafür sorgt, dass es im Arbeitsumfeld erst gar nicht zu einem Brand kommt oder dass man zumindest Vorsorge trifft, damit im Fall des Falles ein Brand rasch gelöscht werden kann“, sagt DEKRA Experte Inderthal. Das Arbeitsschutzgesetz, die Arbeitsstättenverordnung und die Unfallverhütungsvorschriften nehmen den Arbeitgeber jedenfalls im Hinblick auf vorbeugenden Brandschutz, Erste Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten in die Pflicht. Er muss sicherstellen, dass alle Mitarbeiter im Büro Bescheid wissen, wie sie sich im Brandfall korrekt verhalten sollten – damit sie selbst, die Kollegen und andere Personen im Gebäude nicht zu Schaden kommen. Das setzt zum Beispiel voraus, dass die Brandschutzordnung sowie die Flucht- und Rettungspläne bekannt sind. Die Mitarbeiter sollten die Standorte der Feuerlöscher kennen und die Geräte bedienen können. Eine wichtige Rolle im betrieblichen Brandschutz spielen die Brandschutzhelfer. Von Rechts wegen muss der Arbeitgeber mindestens fünf Prozent der Beschäftigten im Unternehmen für diese Aufgabe ausbilden. Auf dem Lehrplan stehen neben einer fachkundigen Unterweisung praktische Übungen im Umgang mit Feuerlöscheinrichtungen und zum Verhalten im Brandfall.
Nach Büroschluss am besten den Netzstecker für technische Geräte ziehen
„Beim vorbeugenden Brandschutz geht es auch darum, dass die Mitarbeiter und die verantwortlichen Personen ein Bewusstsein für Gefahren und deren Auswirkungen entwickeln“, weiß Lars Inderthal. Auf einer praktischen Ebene könnten hier einfache und klare Regeln helfen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Mitarbeiter nach Büroschluss am Arbeitsplatz und in der Büroküche den Netzstecker für die Elektrogeräte ziehen, die dann nicht mehr benötigt werden. Auf Nummer sicher geht man mit einer Keramikplatte unter Wasserkocher und Kaffeemaschine, die bei einer Fehlfunktion der Geräte die Entstehung und Ausbreitung eines Brandes verhindert. Auch die Lüfter in den Computern am Arbeitsplatz verdienen Aufmerksamkeit. Mit der Zeit kann sich dort nämlich Staub festsetzen und die Wärmeabfuhr behindern. Im ungünstigsten Fall entzündet sich der Staub und setzt das Gerät in Brand. Für die Flucht- und Rettungswege im Bürogebäude gilt das Prinzip Sauberkeit und Ordnung. Sie dienen im Brandfall der Evakuierung der Personen im Büro, ermöglichen aber auch der Feuerwehr zur Fremdrettung und Brandbekämpfung den Zugang ins Gebäude. Logisch also, dass ausrangierte Möbel oder Büro- und Verpackungsmaterial in Gängen und Treppenhäusern nichts zu suchen haben. Und wie steht‘s mit dem Keil zum Offenhalten der Brandschutztüre? Dieser vermeintliche Trick ist selbstverständlich absolut kontraproduktiv. Schließlich sollen Brandschutztüren dafür sorgen, dass sich im Brandfall Feuer und Rauch nicht in andere Gebäudeteile ausbreiten und so die Selbstrettung der anwesenden Personen verhindern. Das geht nur, wenn die Tür im Ernstfall wirklich geschlossen ist.
Fünf Fragen an den DEKRA Experten Lars Inderthal
Was ist der Unterschied zwischen einem Brand im Freien und im Gebäude?
Inderthal: Ein zentraler Faktor bei einem Brand sind die entstehenden Brandgase. Im Freien ziehen sie einfach nach oben ab. Das funktioniert innerhalb eines Gebäudes nicht. Hier verteilen sich die Gase mit dem Brandrauch unmittelbar nach der Entstehung eines Brands. Das geschieht lautlos und sehr schnell. Schon nach kürzester Zeit kann der Rauch zu erheblichen Sichtbehinderungen führen und damit die Selbstrettung erschweren.
Welche Gefahr geht vom Brandrauch selbst aus?
Inderthal: Die größte Gefahr bei einem Brand geht nicht vom Feuer aus, sondern vom freigesetzten Rauchgas. In einem Gebäude steht einem Feuer weniger Sauerstoff zur Verfügung als im Freien. In der Folge kommt es zu einer unvollständigen Verbrennung. Dabei entsteht zum Beispiel giftiges Kohlenmonoxid (CO), das sich mit dem Brandrauch ausbreitet und bereits nach wenigen Atemzügen zu Bewusstlosigkeit führt. 95 Prozent der Brandopfer sterben nicht durch Feuer, sondern durch Rauch.
Die wichtigste Regel, wenn es im Bürogebäude brennt?
Inderthal: Schnell, überlegt und entschieden handeln. Brennt es in einem Büro, haben die Mitarbeiter maximal zwei Minuten, bis der sich ausbreitende Brandrauch lebensgefährlich wird. Lässt sich der Brand nicht direkt löschen, dann heißt es, schnell raus aus dem Raum und Türe schließen, damit sich der Rauch nicht auf Rettungswegen wie Flur oder Treppenhaus ausbreitet. Damit gewinnt man Zeit, die anderen Mitarbeiter im Gebäude zu warnen und in Sicherheit zu bringen. Haben alle Personen den Raum verlassen, darf man niemals die Tür noch mal öffnen – auch nicht zum Löschen eines Brandes. Das sollte man der Feuerwehr überlassen, die dafür viel besser ausgerüstet ist.
Welchen Fehler sollten Beschäftigte im Brandfall auf keinen Fall machen?
Inderthal: Ein verrauchtes Treppenhaus ist eine Todesfalle. Es ist daher überlebenswichtig, niemals die Flucht übers Treppenhaus anzutreten, wenn sich darin schon Rauch gebildet hat. Es wäre ein fataler Irrtum, man könne vom ersten oder zweiten Stock durch das verrauchte Treppenhaus ins Erdgeschoss flüchten und dabei die Luft anhalten. Schon wenige Atemzüge genügen, um einen Menschen handlungsunfähig zu machen.
Und wenn der Fluchtweg bereits versperrt ist?
Inderthal: In diesem Fall sollte man den Raum, in dem sich die Beschäftigten befinden, so gut wie irgend möglich gegen das Eindringen von Rauch abdichten. Anschließend sollten sich alle an einem Fenster oder auf einem Balkon des Raumes versammeln und sich dort beim Eintreffen der Rettungskräfte bemerkbar machen. Die Feuerwehr ist in der Regel innerhalb von zehn Minuten am Einsatzort.
Checkliste: Verhalten beim Brandfall am Arbeitsplatz
Es gibt keine goldene Regel für das Verhalten im Brandfall. In den meisten Fällen müssen die Beschäftigten im Büro auf die jeweilige Lage vor Ort reagieren. Bewährt haben sich die folgenden Grundregeln:
- Ruhe bewahren, keine Panik!
- Menschenrettung geht vor Brandbekämpfung.
- Nur wenn ohne Eigengefährdung möglich, in der Entstehungsphase des Brandes Löschversuch mit Feuerlöscher unternehmen.
- Gefahrenbereich über gekennzeichnete Flucht- und Rettungswege verlassen.
- Türen hinter sich zu ziehen – nicht abschließen.
- Keine Aufzüge benutzen.
- Bei der Rettung von Personen aus einem unmittelbaren Gefahrenbereich (Brandraum oder verrauchter Bereich) auf den Eigenschutz achten.
- So frühzeitig wie möglich mit der Evakuierung beginnen.
- Feueralarm auslösen oder Brand über Notruf 112 melden.
- Niemals in ein brennendes oder verrauchtes Gebäude zurücklaufen.
- Vollzähligkeit der Belegschaft feststellen.
- Feuerwehr einweisen (Wo ist der Brand? Wo sind noch Menschen im Gebäude?).