Das 1.000-Tonnen-Spielzeug
Der LR 11000 ist der drittgrößte Raupenkran im Programm des Herstellers Liebherr und kommt immer dann zum Einsatz, wenn extrem schwere Lasten bis zu 1.000 Tonnen in große Höhen gehievt werden müssen. Im Auftrag des Kranspezialisten Wiesbauer führte der DEKRA Kran-Fachgebietsverantwortliche TIMO STARK eine wiederkehrende Prüfung an einem dieser Stahlkolosse in einem Windpark an der Autobahn A 81 durch.
Laut krachen und knacken die gut zehn Zentimeter dicken Stahlplattenglieder des Raupenfahrwerks, als sich das Getriebe, befeuert von 680 PS, gegen die gut 600 Tonnen Eigengewicht des Liebherr LR 11000 stemmen. Das Ungetüm von einem Kran rangiert langsam vor und zurück auf einer Holzrampe in die richtige Position, um hinten zu den bereits geladenen 70 Tonnen weitere 400 Tonnen Schwebeballast aufzunehmen. Die braucht es als Gegengewicht zum 168 Meter langen Ausleger mit Wippe, der zur Demontage abgelegt werden soll.
Balanceakt der Extraklasse
Das Manöver dauert etwa eine Stunde, während der Kranführer Sylvio Hieronymus den Ausleger aus Stahl, der vom eigenen Gewicht mindestens einen Meter durch – hängt, vorsichtig absenkt. Beim sorgsamen Ausbalancieren von Schwebeballast und Ausleger unterstützt ihn ein bordeigenes Computerprogramm.
Schließlich liegt die gelbe Gitterrohr-Konstruktion, die etwa 215 Tonnen schwer ist, auf Stützen in einem Maisfeld bei Tauberbischofsheim. Die Dimensionen des Hebe-Giganten sind enorm und das hat seinen Grund: Der Liebherr-Kran half bei der Montage der Rotorblätter eines rund 160 Meter hohen Windkraftrades im Windkraftpark Lauda-Heckfeld II, an der A 81 in Höhe Tauberbischofsheim. Es gibt weltweit nur eine Handvoll Krane, die groß und stark genug für diesen Job sind.
Präzision heißt die Kunst der Stunde
Noch vor der Demontage des Auslegers hat der Job von DEKRA Kranexperte Timo Stark, der an der NL Stuttgart angestellt ist, begonnen: Eine „wiederkehrende Prüfung nach § 26 DGUV V52 (BGV D6) und BetrSichV“, die alle vier Jahre vorgeschrieben ist, um die Sicherheit der übergroßen Hebemaschinerie zu gewährleisten. Sie dauert üblicherweise zwei Tage und beginnt mit der Überprüfung aller Bolzen, welche die Einzelteile des Krans zusammenhalten. Diese müssen überall vorhanden und sauber verriegelt sein. Timo Stark arbeitet sich von den beiden Raupenfahrwerken über Treppen hinauf zur Drehbühne. In dieser Höhe von rund fünf Metern befindet sich auch das Kranführerhaus. Während es an diesem kalten Märztag unangenehm windig ist, genießt Kranführer Sylvio seinen angenehm warmen Arbeitsplatz. An drei PC-Monitoren kann er verfolgen, was der Kran gerade macht, und er kann die verschiedenen Positionen anfahren. Vier Fußpedale verleihen ihm die Macht über die zwei Raupenfahrwerke, den Schub des 8-ZylinderMotors und die Drehbühne mit den Seilwinden.
Ein tonnenschweres Wunderwerk
Die 32 Millimeter dicken Hubseile aus Stahl sind die wichtigsten Komponenten des Liebherr-Raupen - krans. Über Winden und Flaschenzüge tragen sie die ganze Last. Deshalb nimmt DEKRA Prüfer Timo Stark sie ganz genau unter die Lupe bzw. die Schieblehre. „Sind es die richtigen Seile in der richtigen Machart, wie ist ihr Zustand, stimmt die angegebene Stärke? – das sind die Punkte, die ich checken muss“, sagt er.
Es folgt die Prüfung der Lastmomentbegrenzung, bei der dieser Kran ein Prüfgewicht von elf Tonnen am montierten Ausleger anheben und 52 Meter weit nach vorne heben muss. Zu beachten ist dabei, dass schon der Haken des Krans, die so genannte Hakenflasche, zwölf Tonnen Eigengewicht auf die Waage bringt. Dazu kommt das Seil, das selbst schon sieben Tonnen wiegt. Ist die maximale Belastung erreicht, muss die Sicherheitseinrichtung des Krans eingreifen und den Kran stoppen. Akustisch wird das durch ein Hupsignal im und außen am Führerhaus angezeigt, optisch durch eine blinkende Leuchte.
Im Prinzip ist es ja einfache Physik und technische Mechanik. Aber die Dimensionen sind immer wieder beeindruckend.
Timo Stark DEKRA Kranexperte
Prüfung bestanden
Timo Stark ist mit im Führerhaus und notiert die ordentlich durchgeführte Prüfung dieser Sicherheitseinrichtung. Er ist mit Leib und Seele bei seinem Job: „Im Prinzip ist es ja einfache Physik und technische Mechanik. Aber die Dimensionen sind immer wieder beeindruckend. Meine Bekannten sind tatsächlich neidisch auf mich, weil ich solch überdimensionierte ErwachsenenSpielzeuge prüfen darf. Die sagen, dass ich eigentlich Geld dafür bezahlen sollte!“
Mit Leidenschaft dabei
Die Begeisterung für sein Fachgebiet ist dem 49-Jährigen förmlich anzusehen, wenn er sich in der speziell angefertigten „DEKRA Kranexperten“-Jacke behände über den Ausleger bewegt, mit dem Kranführer übers Walkie-Talkie spricht oder seinen Prüfbericht in seinem selbstgebauten Büro im Kofferraum seines Ford Tourneo Custom verfasst. Er ist stets zu 100 % bei der Sache.
Ein klares Rollenverständnis
Stark ist zwar baustellengerecht meistens der „Kumpel“, er muss aber auch in der Lage sein, die Rolle des DEKRA Experten einzunehmen und Klartext zu sprechen: „Es kommt schon vor, dass ich Mängel feststelle und das thematisieren muss. Ich bin zwar rechtlich nicht befugt, einen Kran komplett stillzulegen, aber ich kann natürlich die Abnahme verweigern, wenn zum Beispiel die Sicherheitseinrichtung nicht funktioniert, Befestigungsbolzen fehlen, Trägerteile korrodiert oder Schweißnähte porös sind. Es hat da schon Situationen gegeben, wo mich der Kunde dann aus lauter Frust der Baustelle verwiesen hat“, erinnert sich der 49-Jährige. Das sei aber eher die Ausnahme, fügt er dann hinzu.
Grünes Licht
Die letzte Tat an diesem Tag ist die Nachbesichtigung des Auslegers, der auf Holzbalken als Stützen ruht. Vorschriftsmäßig an einem Stahlseil gesichert, läuft Timo Stark Meter für Meter ab und achtet auf Anzeichen von Korrosion, inspiziert die Schweißnähte und kontrolliert Verschraubungen. Schließlich kann der DEKRA Experte grünes Licht geben, am LR 11000 ist so weit alles in bester Ordnung. Dem nächsten Einsatz an der nächsten Windkraftanlage steht nichts mehr im Weg.