Sondergutachter – komplexen Schadenfällen auf den Grund gehen
Author: Joachim Geiger
Sondergutachten fallen aus dem herkömmlichen Rahmen. Häufig sind es spezielle Fragestellungen und Rahmenbedingungen, die den Einsatz eines Sondergutachters nötig machen. Aber wie wird man eigentlich Sondergutachter? Und wie arbeiten diese Experten? Wir haben im Fachbereich nachgefragt.
Wenn ein kapitaler Motorschaden, eine beschädigte Lackierung, ein Schwelbrand unter der Motorhaube oder ein schwer beschädigtes Elektroauto im Spiel sind - dann sind DEKRA Sondergutachter gefragt. Sondergutachter sind Sachverständige oder Unfallanalytiker, die über ein breites Repertoire an Knowhow und Prüfmethoden verfügen.
Ihre spezielle Expertise wird häufig von Ermittlungsbehörden, Gerichten, Versicherungen, Unternehmen und Privatkunden benötigt. Ihre Aufgabe ist es, technische Sachverhalte so aufzubereiten, dass die zuständigen Stellen auf dieser Basis eine juristische oder versicherungsrechtliche Beurteilung vornehmen können.
Jedes Sondergutachten hat seine eigene Fragestellung
„Ein Sondergutachter hat fast immer den Ehrgeiz, Dinge herauszufinden, die andere nicht finden. Jedes Gutachten hat seine eigene Fragestellung, jeder Schadenfall seine eigenen Randbedingungen“, weiß Harald Eder, Fachgebietsverantwortlicher im Bereich Sondergutachten, der zum DEKRA Produktmanagement Schadengutachten gehört. Der Ingenieur für Mechatronik, der auf viele Jahre Erfahrung im Werkstattgeschäft und im Service eines Autohauses zurückblickt, hat sich auf die Ermittlung von Brandursachen an allen Arten von Fahrzeugen spezialisiert. Seinem Team gehören vier weitere Experten mit umfangreichem Spezialwissen in den Bereichen Aggregate, Lackierung und Elektrofahrzeuge an. „Ein technisches Sondergutachten für ein E-Auto ist zum Beispiel erforderlich, wenn nach einem schweren Unfall zu klären ist, ob von der Batterie eine Gefahr ausgeht“, sagt Eder.
Wer Sondergutachter werden will, muss sich dafür qualifizieren
Der Fachbereich Sondergutachten ist gleichermaßen Kompetenzzentrum und Ausbildungszentrum. Auf der Agenda stehen unter anderem die technische Kundenberatung sowie die Aus- und Weiterbildung der Sondergutachter – wer dieser exklusiven Truppe angehören möchte, muss sich dafür besonders qualifizieren. Dazu gibt es für jeden Arbeitsbereich jeweils einen eigens eingerichteten Qualifikationslehrgang, den die Experten des Fachbereichs betreuen. Schwerpunkt dieser in der Regel einwöchigen Lehrgänge sind die Praxisteile, in denen die Teilnehmer ausgewählte Schadenfälle analysieren und das Vorgehen bis hin zum Erstellen eines Gutachtens diskutieren. Gefragt sind diese Lehrgänge allemal: Mittlerweile gibt es rund 50 Sondergutachter im Bereich der Brandursachenermittlung, rund 500 in den Sparten Aggregate und Elektrofahrzeuge sowie rund 160 Sondergutachter im Bereich Lackierung.
Sondergutachter – die Archäologen der Schadenanalyse?
Ein weiterer Schwerpunkt des Fachbereichs ist die fachliche Unterstützung der Kollegen in den Niederlassungen. „Sondergutachten und technische Schadenanalyse sind immer auch Teamwork“, erklärt Harald Eder. Sein Fachbereich hat dazu unter anderem eine eigene Plattform aufgebaut, die den Support der Kollegen in den Niederlassungen unterstützt. Und was zeichnet die Arbeit eines Sondergutachters aus? Harald Eder greift dazu gerne zu einem Bild aus der Altertumsforschung: „Der Archäologe rekonstruiert aus Scherben, wie ein Objekt vorher ausgesehen hat. Der Sondergutachter findet ein defektes Bauteil vor und rekonstruiert, wie dieses beschaffen war, bevor es kaputt ging.“ Eine wesentliche Methode sei dafür das Ausschlussverfahren. Der Experte fragt sich in einem ersten Schritt, welche Ursachen für den Schaden in Frage kommen. In der Folge nimmt er jede technisch mögliche Schadenursache unter die Lupe und bewertet, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich diese im konkreten Fall sein kann. Dadurch lassen sich Ursachen meistens deutlich eingrenzen – im besten Fall auf eine einzelne Ursache, die dann den in Frage stehenden Sachverhalt klärt.
An einen Fall, in dem der DEKRA Sondergutachter alle Register ziehen musste, kann sich Harald Eder noch gut erinnern: Ein knapp zwei Jahre alter Geländewagen mit Dieselmotor und rund 60.000 Kilometer Laufleistung hat einen Brandschaden im Bereich der Armaturentafel. Der Versicherer will wissen, wie es dazu gekommen ist. Den Auftakt macht ein Interview des Experten mit dem Fahrzeugbesitzer zum Schadenshergang. Außerdem nimmt er die Fahrzeughistorie genau unter die Lupe. Es stellt sich heraus, dass das Fahrzeug nach dem Kauf mit Scheinwerfern einer anderen Baureihe des Herstellers umgebaut wurde. Die technische Untersuchung ergibt, dass das Steuergerät hinter der Armaturentafel, das die elektrische Anlage im Vorderwagen steuert, aus dem Inneren heraus ausgebrannt ist. Zudem sind die Leitungssätze im ganzen Bereich des Vorderwagens verschmort.
Im weiteren Verlauf haben die Experten den Vorderwagen zerlegt, eine Röntgenuntersuchung der elektronischen Bauteile sowie weitere Analysen des Fehlerdiagnoseprotokolls und anderer Steuergeräte wurden ebenfalls durchgeführt. Das Ergebnis: „Wir konnten nachweisen, dass beim Umbau der Beleuchtungseinrichtung eine Verkabelung an dem Stromkreis für das Standlicht falsch angeschlossen wurde“, erinnert sich Eder. Daher kam es jedes Mal, wenn das Fahrzeuglicht eingeschaltet wurde, zu einem Fehlerstrom. Das Steuergerät hat dann zur Vermeidung von Schäden abgeschaltet. Im Lauf der Zeit ist dieses elektronische Bauteil durch mehrere tausend Schaltvorgänge jedoch so stark geschädigt worden, dass die Schutzeinrichtung versagt hat. Aus diesem Grund haben sich die Leitungen überhitzt und es kam zu einem Schmorschaden an den Leitungen und einem Scheinwerfer.
Die DEKRA Sondergutachter konnten auch nachweisen, dass das Fahrzeugsystem die Fehlfunktion im elektrischen Stromkreis regelmäßig durch eine Fehlermeldung im Display angezeigt hat. Auch in den zurückliegenden Diagnoseprotokollen der Wartungsarbeiten wurde der Fehler im Stromkreis immer wieder angezeigt. Für Harald Eder ist in diesem Fall eines klar: Hätte man den Fehler nicht dauerhaft ignoriert, wäre es wohl nicht zum Schaden gekommen.