Sicherheit im Labor KABOOM!
Wo immer gefährliche Substanzen im industriellen Maßstab verarbeitet werden, ist Gefahr im Verzug. Die Kolleginnen und Kollegen von DEKRA Process Safety nahe Southampton beraten Unternehmen darin, wie sie diese Gefahren verhindern oder zumindest kontrollieren können.
Unfälle mit Chemikalien, Brände, aber auch Staubexplosionen verursachen nach Schätzungen der ILO (International Labour Organization) jährlich über 650.000 Todesfälle in Betrieben weltweit. „Überall dort, wo eine brennbare Atmosphäre, also ein hybrides Gemisch aus brennbarem Staub, Gas oder Dampf, Sauerstoff und einer Zündquelle vorhanden ist, kann es dazu kommen“, informiert Aidan Bushell (33), Leiter des Industrial Explosions and Hazards Labors (IEH) von DEKRA in Southampton. Sein Job besteht vor allem darin, diese Worst-Case-Szenarien und alle Eventualitäten für Kunden durchzuspielen.
„Hier im Staubexplosionslabor (ATEX) konzentrieren wir uns auf das Material selbst, d. h. darauf, wie zündempfindlich der Staub ist und wie heftig die Explosion ausfallen würde. Im Allgemeinen gilt: Je feiner der Staub, desto wahrscheinlicher explodiert er. Aber auch der Wassergehalt und die Form der Partikel sind wichtig, da diese Faktoren die Staubwolkenbildung und die Explosion erheblich beeinflussen können. Wir ermitteln alle potenziellen Zündquellen, die der Kunde in seinem Prozess hat, und bewerten die Materialien im Hinblick auf diese. Die häufigste potenzielle Zündquelle sind Funken aus elektrostatischer Aufladung. Das liegt daran, dass jede Form von Bewegung oder Reibung eine Ladung erzeugt, so dass es praktisch unmöglich ist, elektrostatische Funken aus einem Anlagenprozess zu entfernen.“
Prozesssicherheit in der Pharma- und Chemieindustrie
Aidan Bushells Team stellt die Bedingungen in den Fabriken der Kunden aus der Lebensmittel-, Pharma- oder Düngemittelindustrie nach, nur in kleinerem Maßstab. Auf diese Weise können künftige Unfälle entweder ganz vermieden oder zumindest ihre Auswirkungen minimiert werden. „Dazu versuchen wir, den Zündpunkt eines Stoff-Luft-Gemisches unter möglichst konservativen Bedingungen in unseren Versuchsaufbauten zu bestimmen. Nur so können wir eine Aussage darüber treffen, wann zum Beispiel die Energiezufuhr oder die Sauerstoffzufuhr gedrosselt werden muss, damit es unter realen Bedingungen gar nicht erst so weit kommt.“
Im Industriegebiet des Städtchens Chilworth, im so genannten Science Park, betreibt DEKRA nicht nur das Staubexplosionslabor, sondern auch ein Labor für Elektrostatik und das Chemielabor für gefährliche Reaktionen (Chemical Reaction Hazards, CRH). Insgesamt sind rund 50 Kolleginnen und Kollegen am Standort damit beschäftigt, Gefahren von Arbeiterinnen, Arbeitern und ganzen Gemeinden abzuwenden. Denn Unfälle in Industriebetrieben können nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für die Umwelt gravierende Auswirkungen haben.
Sicheres Arbeiten im DEKRA Labor
Kamran Arif ist Mitarbeiter im Team Chemical Process Evaluation (CPE). Der Job des 25-Jährigen ist es, gefährliche – und natürlich ungewollte – Reaktionen von chemischen Stoffen miteinander zu simulieren. „Im Mittelpunkt meiner Tätigkeit steht immer die Überlegung: Was kann potenziell schiefgehen beim Kunden? Wenn zum Beispiel in einem Produktionsprozess zwei Chemikalien gemischt werden und eine Arbeitskraft die Zugabe einer Chemikalie vergessen hat. Dann wird vielleicht versucht, diese Chemikalie schneller als sonst beizugeben, um den Fehler zu kaschieren. Schon verläuft die Reaktion anders als vorgesehen, es entsteht zu schnell zu viel Druck im Behälter, der Überdruck kann nicht mehr entweichen. Keine gute Mischung.“
Wie gefährlich ist dieser Job eigentlich für die DEKRA Kolleginnen und Kollegen? Kamran: „Was wir testen, ist natürlich gefährlich. Aber wir haben hier im Labor eine kontrollierte Umgebung. Alle gefährlichen Tests finden in einem Betongehäuse aus kugelsicherem Glas statt, das mit Platten aus acht Millimeter dickem Edelstahl verstärkt ist. Wir haben eine automatische Entlüftung und eine spezielle Software, die die entstehenden Drucke überwacht. Und für den Fall, dass doch einmal etwas schiefgeht, sind mehrere Sicherheitsstufen eingebaut, zum Beispiel Überdruckventile und Sprengplatten. Darüber hinaus sind wir mit persönlicher Schutzausrüstung ausgestattet, die weit über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Wenn also jemand sicher ist, dann sind wir es.“
Staubexplosionslabor – von den Tests zum Gutachten
Emily Elliot, 28, ist Sicherheitsingenieurin und bildet für Kamran und Aidan die Schnittstelle zum Kunden. Derzeit kümmert sie sich sowohl um Kunden aus dem Bereich Staubexplosionen als auch um jene, die ein Problem mit gefährlichen Reaktionen von Chemikalien haben. „Irgendwann werde ich mich sicherlich auf das eine oder das andere spezialisieren. Aber im Moment finde ich beide Fragestellungen interessant.“
Vor rund vier Jahren wechselte sie zu DEKRA und hat den Schritt nie bereut, im Gegenteil: „Kein Projekt ist wie das andere, weil kein Unternehmen wie das andere ist“, erzählt sie begeistert. Auch die Motivation, zu DEKRA zu kommen und sich beraten zu lassen, sei unterschiedlich: „Einige kontaktieren uns, weil sie erkannt haben, dass sie etwas ändern möchten. Sei es, weil es Unfälle in vergleichbaren Fabriken gegeben hat oder weil sie intern oder extern auf Missstände angesprochen wurden. Andere sind tatsächlich schon gut aufgestellt und wollen besser werden.“
Emily Elliot ermittelt zunächst die Risiken, indem sie das Verarbeitungsmaterial und die Mischungsherstellung überprüft. Vor Ort arbeitet sie eng mit den Kunden zusammen, beispielsweise an einem riesigen Reaktor für die Pharma- oder Chemieindustrie. „Ich frage dann, was passiert, wenn man vergisst, Wasser hinzuzufügen, oder wenn man zu viel von diesem oder jenem Stoff hinzufügt, wenn jemand den falschen Knopf drückt.“ Dann werden Tests in den Labors von DEKRA durchgeführt, Kollegen wie Aidan und Kamran nehmen das Szenario auf und lassen es in kleinem Maßstab ablaufen. Das Hochrechnen auf die tatsächliche Dosis bildet die Grundlage für das Gutachten. Darin schlägt die Expertin konkrete Sicherheitsmaßnahmen vor.
Sicherheit als Resultat der Arbeit
Emily und ihre Kollegen helfen mit ihrer Arbeit dabei, Gefahren abzuwenden. Ein gutes Gefühl, oder? „Ich denke tatsächlich selten über diese Frage nach, weil ich die Sicherheit als Resultat meiner Arbeit sehe“, sagt sie. „Aber tatsächlich gibt einem dieser Job so etwas wie Sinn und Integrität. Man drängt immer auf die richtige Antwort, auch wenn der Kunde das nicht unbedingt tut.“ Laborleiter Aidan Bushell spürt diese Befriedigung ebenfalls: „Das ist tatsächlich einer der Vorzüge meines Jobs. Ich kann den Menschen dabei helfen, dass sie abends sicher von ihrer Arbeit nach Hause kommen.“ Kamran Arif ergänzt: „Tatsächlich ist es ein sehr gutes Gefühl. Auf der einen Seite muss man immer wieder betonen, wie gefährlich manche Abläufe und Prozesse sind. Aber zugleich bietest du eine Lösung an. Du sagst: Triff diese und jene Schutzmaßnahmen und es wird Leben retten.“
Oder, um es mit Stephen Rowe, Managing Director von DEKRA Organisational and Process Safety, zu sagen: „Die Ironie unseres Tuns ist es, dass, wenn wir unseren Job richtig machen, gar nichts passiert. Das Unternehmen fertigt einfach weiter. Womit wir es zu tun haben, sind Ereignisse, die extrem unwahrscheinlich sind, aber extrem schwere Konsequenzen haben können.“
Ich sehe die Sicherheit als Resultat meiner Arbeit.
Emily Elliot, Process Safety Specialist bei DEKRA