Psychische Gesundheit
Geht’s noch? Psychische Gefährdungen
Bereits vor der Corona-Pandemie nahmen Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund psychischer Erkrankungen erheblich zu. Und die pandemiebedingten zusätzlichen Effekte sind dabei noch nicht abzusehen. Unternehmen müssen sich vermehrt nicht nur um Unfallfreiheit, sondern auch um die psychische Gesundheit ihrer Beschäftigten kümmern. Gesunde Beschäftigte sind resilienter, motivierter, produktiver und weisen natürlich weniger Fehlzeiten auf.
Die langfristigen Folgen der Pandemie für die psychische Gesundheit der Beschäftigten werden erheblich sein, warnen Experten. Ersten Erkenntnissen zufolge nimmt das Risiko für Depressionen, Angsterkrankungen, Belastungsstörungen und Suchtverhalten zu. Mehr als ein Drittel der Unternehmen in Deutschland rechnet laut Studien mit negativen Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Aufgrund der intensiven und langjährigen Bemühungen von Arbeitgebern, Sozialpartnern und Gesetzgebern hat die Anzahl von Arbeitsunfällen in Deutschland über viele Jahre einen rückläufigen Trend. Ermöglicht wurde dieser Rückgang durch Strategien, die auf eine Kombination technischer, organisatorischer und personenbezogener Maßnahmen setzen.
Betrachtet man nur die letzten fünf Jahre, erkennt man aber eine Stagnation in der Verbesserung des Unfallgeschehens. Unternehmen begründen eine Stagnation und das verbleibende Unfallaufkommen häufig mit dem Verhalten der Beschäftigten oder mit menschlichem Versagen. Nach Erfahrungen von DEKRA kann man die Unfallzahlen durchaus weiter reduzieren, wenn man die richtigen Instrumente und Methoden für eine bessere Sicherheits- und Führungskultur einsetzt und ein Verständnis für kognitive und sogenannte menschliche Faktoren entwickelt. DEKRA Kunden berichten hier von weiteren Reduzierungen der Unfallquoten um rund 50 Prozent in zwei bis drei Jahren.
Trotz dieser Maßnahmen sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland aber immer länger arbeitsunfähig. Zwischen 2007 und 2019 ist beispielsweise die durchschnittliche Zahl an Arbeitsunfähigkeitstagen pro Beschäftigten um besorgniserregende 34 Prozent gestiegen. Inzwischen sind Beschäftigte durchschnittlich an 10,9 Tagen pro Jahr arbeitsunfähig (2019), Tendenz weiter steigend (Quelle: Statistisches Bundesamt 2021). Der durchschnittliche Krankenstand in Unternehmen stieg dabei ebenfalls. Zwischen 2010 und 2019 hat sich der Krankenstand von 3,7 Prozent auf 4,2 Prozent erhöht (Quelle: DAK Gesundheitsreport 2020).
Ein Treiber für die steigenden Ausfalltage der Beschäftigten sind psychische Erkrankungen. So haben sich die Ausfalltage aufgrund psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Durchschnittlich waren Beschäftigte im Jahr 2019 in Deutschland an 2,6 Tagen aufgrund psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig. Psychisch erkrankte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind zudem mit durchschnittlich 35 Krankheitstagen deutlich länger krankgeschrieben als körperlich erkrankte (Quelle: DAK Gesundheitsreport 2020).
Konzepte, die die psychische Gesundheit fördern, steigern die Produktivität und reduzieren Fehlzeiten mit allen Begleiterscheinungen: zum Beispiel indirekter Kosten für die Überbrückung durch Aushilfen oder Vertretungen, der Suche nach Ersatz sowie zusätzlicher Personalverwaltung. Auch wenn die Ursachen für psychische Erkrankungen oft nicht nur in dem direkten Arbeitsumfeld zu suchen sind, besteht bei Beschäftigten doch immer eine direkte Wechselbeziehung zwischen eigenem Wohlergehen und Arbeitsumfeld.
Erfahrungen aus dem Arbeits- und Gesundheitsschutz belegen, dass in Bezug auf die psychische Gesundheit pragmatische und effektive Maßnahmen eingeführt und umgesetzt werden können. So konnten DEKRA Kunden durch eine Verbesserung der Sicherheits- und Führungskultur sowie durch Maßnahmen im Bereich der sogenannten Human Performance Reliability signifikante und messbare Fortschritte erzielen.
Diese Methoden und Erkenntnisse lassen sich auf die Aspekte der psychischen Gesundheit anwenden. Wer Mitarbeiter zum Beispiel befähigt, Stress besser zu bewältigen oder Konfliktsituationen zu meistern, wird die Gesundheit der Beschäftigten insgesamt verbessern. Auch eine Weiterentwicklung der Führungskompetenzen von Führungspersonal wirkt sich aus.
DEKRA beobachtet, dass immer mehr Unternehmen auch wegen der aktuellen Coronakrise gesundheitsfördernde Programme für die Beschäftigten einführen wollen. Dieser Trend rückt Workplace Wellbeing stärker in den Vordergrund. Das Ziel ist hier die Unterstützung von Beschäftigten und deren Führungskräften, um ihr Wohlbefinden und damit ihre individuelle Produktivität zu steigern. Wellbeing-Programme berücksichtigen neben physischer und psychischer Leistungsfähigkeit auch soziale Aspekte.
Entscheidenden Einfluss auf den Erfolg haben die professionelle Bewertung der Ausgangssituation sowie die Auswahl und Umsetzung wirksamer Maßnahmen.
DEKRA hat beispielsweise in den vergangenen Jahren Dienstleistungen aufgebaut, die eine einfache (digitale) und dabei wissenschaftlich fundierte Beurteilung der psychischen Gefährdung am Arbeitsplatz ermöglichen und basierend darauf Maßnahmen identifizieren, die tatsächlich messbare Erfolge erzielen. DEKRA unterstützt Unternehmen auch bei der Einführung und Umsetzung dieser festgelegten Maßnahmen und der Messung ihrer Wirksamkeit.
[Autor]
Sebastian Bartels, Senior Vice President DEKRA Group, Leiter Globale Business Line HSE & Sustainability
Sebastian Bartels, Senior Vice President DEKRA Group, Leiter Globale Business Line HSE & Sustainability