Automatisiertes Fahren: Studie zur Übernahme durch den Fahrer
„Multitasking“ hat seine Grenzen
Mit der Einführung von Systemen des hoch- und vollautomatisierten Fahrens wird sich die Rolle des Autofahrers bzw. der Autofahrerin in Zukunft verändern. Unter bestimmten Umständen sind Nebentätigkeiten erlaubt. Vorgesehen ist aber, dass der Fahrer innerhalb weniger Sekunden wieder übernehmen muss, wenn ihn das System dazu auffordert. Was aber wäre, wenn in einer potenziell kritischen Situation diese Aufforderung ausbleibt? Eine Studie von DEKRA und der TU Dresden zu diesem Thema zeigt: In Sachen „Multitasking“ hat die menschliche Leistungsfähigkeit Grenzen. „Deshalb müssen an die technische Reife automatisierter Fahrfunktionen höchste Ansprüche gestellt werden. Es ist unerlässlich, im Rahmen des Genehmigungsprozesses sicherzustellen, dass das System dem Menschen unter keinen Umständen eine plötzliche Übernahme zumuten wird“, so Dr. Thomas Wagner, Verkehrspsychologe und Leiter der Begutachtungsstellen für Fahreignung bei DEKRA.
- Felduntersuchung mit vier Übernahmeszenarien am DEKRA Lausitzring
- Selbst ohne Nebentätigkeit teilweise große Schwierigkeiten bei Übernahme
- DEKRA und TU Dresden: Forschungslücke bei „stillen Alarmen“
Für die Felduntersuchung rekrutierten die Verantwortlichen unter Studierenden der TU Dresden und der Fachhochschule Senftenberg sowie über öffentliche Netzwerke knapp 90 Probanden, von denen am Ende 36 an den Versuchsfahrten teilnahmen. Ihnen war der tatsächliche Hintergrund der Studie dabei nicht bekannt. Sie waren im Schnitt seit rund acht Jahren im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse B, zwischen 19 und 48 Jahren alt und hatten durchschnittlich ca. 9.400 Kilometer Fahrerfahrung pro Jahr.
Während der Testfahrten wurden jeweils ein „falscher Alarm“ und drei „stille Alarme“ ausgelöst. In einem Fall gab das Fahrzeug eine Übernahmewarnung ab, ohne dass tatsächlich eine kritische Situation gegeben war. „Die drei stillen Alarme betrafen das Überfahren einer Haltelinie mit Stoppschild, das langsame Abdriften auf die Gegenfahrbahn und das plötzliche Ausweichen vor einem irrtümlich erkannten Hindernis“, erläutert Dr. Wagner. Alle vier Übernahmeszenarien traten auf, nachdem schon mehrere Runden ohne besondere Vorkommnisse durchfahren worden waren.
Insgesamt erwies sich die Übernahme nach einem „falschen Alarm“ als wenig problematisch: Alle Probanden übernahmen erfolgreich die Fahrzeugsteuerung, sowohl in der Experimentalgruppe mit Aufgabe am Tablet, als auch in der Kontrollgruppe, die keine Nebentätigkeit auszuführen hatte. „Beim stillen Alarm sah das anders aus“, bilanziert DEKRA Experte Dr. Wagner. „Hier gab es deutliche Schwierigkeiten bei der Übernahme – und zwar ebenfalls in beiden Gruppen. Allerdings war die nicht erfolgreiche Übernahme in der Gruppe mit Nebentätigkeit über alle Szenarien hinweg etwa doppelt so häufig.“
Gerade beim Aspekt der „stillen Alarme“ gibt es aus Sicht der DEKRA Experten und TU-Wissenschaftler bisher eine echte Forschungslücke: Weniger als zehn Prozent bislang publizierter Arbeiten befassen sich mit so genannten „Disengagement-Situationen“, also einem fehlerbedingten Systemausfall. „Der wahrscheinlich sicherheitskritischste Aspekt der hochautomatisierten Fahraufgabe ist in der bisherigen Forschungslage stark unterrepräsentiert“, so Dr. Wagner. „Wir müssen die Frage diskutieren, ob eine Nebentätigkeit in Kombination mit einem Mindestmaß an Überwachung des Fahrsystems und der Verkehrslage, so wie sie das Gesetz in seiner aktuellen Form vorsieht, überhaupt menschenmöglich und sicher ausführbar ist“, mahnt der Experte.