Maschinen-Menschen

Author: Martin Schmitz-Kuhl

06. März 2019 Innovation / Künstliche Intelligenz

Humanoide Roboter, also Maschinen in Menschengestalt, faszinieren. Aber haben sie in einer smarten Welt überhaupt eine Zukunft?

Data aus Star Trek. Der ­Terminator. Die Replikanten aus „Blade ­Runner“. Menschen, die Roboter spielen, sind aus zahlreichen Science-Fiction-­Filmen bekannt. Schon im Maschinen-Menschen aus „Metropolis“ von 1927 steckte mit Brigitte Helm eine Schauspielerin. Was im Oktober 2017 an den Münchner Kammerspielen Premiere feierte und derzeit über die Bühnen Europas tourt, ist jedoch neu: ein Roboter, der einen Menschen spielt. Der Mensch ist der Schriftsteller Thomas Melle, der dieses Theaterstück mit dem Titel „Uncanny Valley“ zusammen mit dem Berliner Regisseur Stefan Kaegi ausgeheckt hat. Dabei gleicht der Roboter, der in diesem Ein-„Personen“-­Stück auf der Bühne sitzt, dem echten Melle wie ein eineiiger Zwilling. Seine Gesichtszüge sind zwar etwas starr, die Gestik leblos. Und dann ist da auch noch der Hinterkopf, der ganz bewusst offen gelassen wurde, sodass das Publikum das elektronische Innere sehen kann. „Trotzdem gibt es immer wieder Besucher, die bis zum Schluss davon überzeugt sind, dass das kein Roboter, sondern ein richtiger Mensch ist“, berichtet Regisseur Kaegi. Das habe ihn selbst überrascht.
Der Name des Stücks kommt nicht von ungefähr. Schon 1970 stellte der japanische Forscher Masahiro Mori fest, dass der Mensch einen humanoiden Roboter umso positiver bewertet, je menschlicher er wird. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Dann nämlich beginnt der Mensch, die Defizite des Roboters – zum Beispiel in der Bewegungsfähigkeit oder der Sprache – nach menschlichen Maßstäben zu beurteilen, und die Akzeptanz nimmt ab. Erst wenn sich der Roboter wie ein Android kaum noch von einem Menschen unterscheidet, nimmt die Akzeptanz wieder zu. Diese Akzeptanzlücke wird als Phänomen des unheimlichen Tals beschrieben, des „Uncanny Valley“.
Das muss man wissen, um Roboter wie Pepper verstehen zu können. Manch ein Kunde von DEKRA kennt ihn bereits von der Verleihung des DEKRA Awards 2017, bei der dieser Roboter mit auf der Bühne stand. Um mit ihm nicht ins unheimliche Tal zu geraten, haben ihn seine ­Entwickler ganz bewusst etwas weniger menschlich, dafür aber umso niedlicher entworfen, mit rundem Kopf, Kulleraugen und hoher, kindlicher Stimme. Pepper wird ebenso wie sein kleiner Bruder Nao zunehmend als informativer und kommunikativer „Robotergefährte“ (Companion-Robot) in Unternehmen und Institutionen eingesetzt. Die Sparkasse Bremen-Neustadt, die Stadtbücherei Frankfurt, das Bürger­amt in München: Alle wollen diese elek­tronische „Service-Fee“ haben, die mit den Kunden plaudern und ihnen Fragen beantworten kann. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis solche Kommunikations­roboter auch die Privathaushalte erobern. Schon heute werden „Social Talker“ für den Hausgebrauch – wie der nur 28 Zentimeter große und gut 1.200 Euro teure Sota – in den Elektronikabteilungen diverser Kaufhäuser vertrieben. Bislang allerdings nur in Japan, einem Land, in dem es bekanntermaßen ohnehin viel weniger Berührungsängste gegenüber Robotern gibt.
Care-O-bot wird physische Hilfe anbieten können
Während die motorischen Fähigkeiten solcher Kommunikationsroboter sehr begrenzt sind und sich meist auf das Wedeln mit den Armen und das Wackeln mit dem Kopf beschränken, sollen Service­roboter wie der Care-O-bot schon weitaus mehr können. Er wird seit den 1990er-Jahren am Fraunhofer-Institut für Produk­tionstechnik und Automatisierung (IPA) entwickelt und mittlerweile von einem Spin-off mit dem Namen Unity Robotics vertrieben. „Mithilfe seiner Sensoren wird Care-O-bot zukünftig komplexe Situationen erfassen und darauf aufbauend konkrete physische Hilfe anbieten können“, verspricht Geschäftsführer Dr. Ulrich ­Reiser. „Dabei soll der Roboter das immer knapper werdende Fachpersonal in Krankenhäusern und Pflegeheimen, aber auch im Einzelhandel, auf Bahnhöfen oder in Flughäfen unterstützen, indem er ein­fache Tätigkeiten übernimmt.“
Fraunhofer ist mit diesem Bestreben freilich nicht allein. Forschungslabore in aller Welt arbeiten daran, Humanoiden auch tatsächlich die motorischen Fähigkeiten eines Homo sapiens zu geben. Angefangen mit Hondas Asimo, der im Jahr 2000 der ­Öffentlichkeit präsentiert wurde. Seine Gehversuche waren für die damalige Zeit revolutionär, sodass er sogar der Erste seiner Art war, der 2004 in die Robot Hall of Fame auf­genommen wurde. Mittlerweile haben ihm andere jedoch längst den Rang abgelaufen – zum Beispiel Atlas aus der amerikanischen Roboterschmiede ­Boston ­Dynamics. Dieser humanoide Roboter kann nicht nur halbwegs menschlich gehen, sondern auch jeden Parcours mit Bravour bestehen und mit einem souveränen Salto rückwärts abschließen. Es scheint daher nur noch eine Frage der Zeit, bis solche Roboter tatsächlich all jene körperlichen Tätigkeiten bewältigen und langfristig übernehmen, die bislang dem Menschen vorbehalten sind.
Roboter übernehmen komplexe Tätigkeiten
Allein: Warum sollten sie? Oder konkreter: Ist die Vorstellung vom menschenähnlichen Blechkameraden, der uns alle Arbeiten abnimmt, nicht reine Science-­Fiction? Und eben nicht, weil es technisch nicht möglich wäre, sondern vielmehr, weil die technische Entwicklung längst einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat? Denn die Welt von morgen soll schließlich smart sein und das Internet der Dinge unseren Alltag bestimmen. Das bedeutet eben auch: Wenn ein Auto autonom fährt, benötigt es keinen Roboter mehr auf dem Fahrersitz. Und wenn ein Saug­roboter selbstständig über den Teppich und ein Mähroboter ebenso durch den Garten kurvt, ist es eben auch nicht mehr nötig, dass ein humanoider Roboter zum Staubsauger oder Rasenmäher greift.
Der Verdacht steht im Raum: All diese Bemühungen um immer humanoidere Roboter sind letztlich doch nur Spielereien von Robotikern in Laboren, die zeigen wollen, was möglich ist, ohne dass jene jedoch in die breite Anwendung kommen. Dr. Fumio Kanehiro widerspricht. Der Japaner leitet die Humanoid Re­search Group des National Institute of ­Advanced Industrial Science and Technology, kurz: AIST. Sein neuester Roboter, der HRP-5P, kann nicht Parcours laufen oder einen Salto schlagen, dafür aber eine Trockenwand montieren. Das klingt erst einmal wenig spektakulär, ist aber ein durchaus komplexes Unterfangen. So muss der Roboter zunächst einmal die Gipskartonplatte zur Hand nehmen, die exakte Position an der Wand ermitteln und das Bauteil dann auch noch ordnungsgemäß anbringen. All das kann heute zwar auch jeder zweite handelsübliche Industrie­roboter – allerdings nur in der entsprechenden Fabrikhalle. „Zum Beispiel auf Baustellen oder in Produktionsstätten mit enger Arbeitsumgebung funktionieren herkömmliche Roboter nicht, da können bislang nur Menschen arbeiten“, so Kanehiro, „oder eben Roboter mit einer menschenähnlichen Körperstruktur wie unser HRP-5P.“
Eine hochgerüstete Marionette
Eine ähnlich enge Arbeitsumgebung bietet freilich auch das private Zuhause. Und so ist es vielleicht wirklich absehbar, dass ein humanoider Roboter als multifunk­tionale und omnipotente Arbeitsmaschine dort Einzug hält. Schließlich kann er dort nicht nur Staub saugen und den Rasen mähen, sondern danach mit dem Auto die Kinder zur Schule fahren, auf dem Rückweg die Einkäufe erledigen und später noch das Essen kochen.
Und auf der Theaterbühne? Noch ist der Roboter in „Uncanny Valley“ technisch nicht viel mehr als eine hoch­gerüstete Marionette und damit keine Konkurrenz für menschliche Schau­spieler. Als selbst lernende Maschine könnte er jedoch in nicht allzu ferner Zukunft durchaus in der Lage sein, sich Stoff zu erarbeiten und Regieanweisungen selbstständig umzusetzen. Doch selbst Regisseur Stefan Kaegi wiegelt hier ab. „Ein guter Schauspieler ist ein Künstler, der immer mehr können wird, als nur wiederzugeben, was er irgendwo gelernt hat oder was ihm gesagt wurde“, sagt er. Wenigstens diese Domäne könnte der Mensch also in Zukunft behaupten.