Retrofit: Aus Alt mach Neu
Author: Achim Geiger
Nachhaltigkeit im Fuhrpark geht auch anders. Die Umrüstung auf Elektroantrieb ist ein Jungbrunnen für ältere Diesel-Lkw und kann dem Betreiber eine Menge Geld sparen. Die Anbieter fürs technologische Update warten mit spezialisierten Elektro-Baukästen auf, die sich im Hinblick auf Reichweite und Nutzlast an die Belange der Kunden anpassen lassen.
Nachhaltigkeit im Fuhrpark geht auch anders. Die Umrüstung auf Elektroantrieb ist ein Jungbrunnen für ältere Diesel-Lkw und kann dem Betreiber eine Menge Geld sparen. Die Anbieter fürs technologische Update warten mit spezialisierten Elektro-Baukästen auf, die sich im Hinblick auf Reichweite und Nutzlast an die Belange der Kunden anpassen lassen.
Deutschland hat mit dem Klimaschutzprogramm die Messlatte für den schweren Straßengüterverkehr ziemlich hoch gelegt. Demnach soll 2030 ein Drittel der Fahrleistung in diesem Segment elektrisch oder auf Basis strombasierter Kraftstoffe erfolgen. Jetzt rätseln Verkehrs- und Umweltexperten, ob es den Lkw-Herstellern gelingt, bis dahin eine hinreichend große elektrische Flotte im Markt zu etablieren. Immerhin hat Daimler Truck Anfang Oktober im rheinland-pfälzischen Wörth die Fertigung seines ersten elektrischen Serien-Lkw gestartet. In Limburg an der Lahn soll im Frühsommer 2022 der erste batterieelektrische Scania in Deutschland als City-Shuttle den Dienst antreten. Renault Trucks wiederum hat vor Kurzem angekündigt, ab 2023 Elektro-Lkw in jedem Marktsegment anzubieten. Bis die etablierten Hersteller größere Stückzahlen auf die Straßen bringen, dürfte es jedoch eine Weile dauern. Allerdings ist die Schützenhilfe für den Markthochlauf der E-Lkw bereits in Sicht. Die neuen Akteure der Dekarbonisierung des Güterverkehrs sind hoch spezialisierte Unternehmen, die konventionelle Trucks aller Gewichtsklassen mit eigens entwickelten Elektro-Bausätzen in Zero-Emission-Fahrzeuge umbauen, die im Hinblick auf Reichweite und Nutzlast auf die Belange der Kunden zugeschnitten sind.
Verbrenner raus, Elektroantrieb rein – kann das eine Lösung sein?
Es hat natürlich Charme, wenn ein älterer Diesel-Lkw nach dem Umbau ein zweites Berufsleben startet – das Fahrzeug landet nicht mehr im Export, es spart durch die Wiederverwertung Ressourcen und die Anschaffung geht im Vergleich zum Neufahrzeug deutlich weniger ins Geld. In kommunalen Fuhrparks ist das sogenannte Retrofit seit einigen Jahren Stand der Technik. Vor allem Schätzchen wie der Mercedes-Benz Vario machen nach der Umrüstung mit einem elektrischen Antrieb häufig als Sammelfahrzeug für Kehricht und Abfall oder als Kehrmaschine Karriere. Ein elektrischer 7,5-Tonner mit Doppelkabine für die Straßenreinigung? Je spezieller die Ansprüche an den Fahrzeugeinsatz, desto eher entscheiden sich die Kommunen für einen Umrüstbetrieb.
„Die Umrüstung von Nutzfahrzeugen erfordert grundlegende Sicherheits- und Qualitätsstandards“, erklärt Andreas Richter, Ingenieur im DEKRA Kompetenzzentrum Elektromobilität. Der Experte hat im Februar 2021 an der Task-Force „Umrüstung” teilgenommen, die das Bundesverkehrsministerium im Rahmen der Umsetzung des Gesamtkonzepts klimafreundliche Nutzfahrzeuge eingerichtet hatte. Sein Fazit: „Eine wichtige Rolle bei Prüfung oder Begutachtung umgerüsteter Fahrzeuge spielen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVZO) zur Betriebserlaubnis für Einzelfahrzeuge, die in der Regel das Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen für den Kraftfahrzeugverkehr voraussetzt.“
Retrofit ist bislang eine Domäne deutscher Spezialunternehmen
Die Umrüstung auf Elektroantrieb schreiben sich Unternehmen wie Orten, Quantron, BPW und Paul Nutzfahrzeuge auf die Fahnen. Ein Big Player ist Pepper Motion aus dem oberbayerischen Denkendorf. Das Unternehmen hat eine auf Softwareentwicklung spezialisierte Tochtergesellschaft in Wien und ist mit Standorten in Italien, Polen und Bulgarien vor Ort. Ein batterieelektrisches Antriebssystem für die Serienproduktion soll im Frühjahr 2022 verfügbar sein. Bis 2024 will man mehr als 1.000 Elektrifizierungs-Kits in umgerüsteten und Neufahrzeugen verbauen. Für die Bundesregierung sind die Umrüster längst ernst zu nehmende Markteilnehmer. Deshalb hat sie in ihrem im August 2021 veröffentlichten Aufruf zur Antragseinreichung zur Förderung von klimaschonenden Nutzfahrzeugen (Richtlinie KsNI) die mit batterie- oder brennstoffzellenelektrischem Antrieb umgerüsteten Diesel-Lkw den Neufahrzeugen gleichgestellt. Der Zuschuss für die Umrüstung beträgt in diesem Fall 80 Prozent der Investitionsmehrausgaben.
Retrofit ist derzeit vor allem eine Domäne deutscher Unternehmen. In Großbritannien etwa findet die Umrüstung mit elektrischen Antrieben bislang vor allem in der ÖPNV-Nische statt. Wie eine im März 2021 veröffentlichte Studie von Zemo Partnership in London belegt, laufen derzeit knapp ein Dutzend umgebauter Busse in York und Brighton sowie ein Müllsammelfahrzeug in der 26-Tonnen-Klasse in Greenwich. In Frankreich gibt es dem Pariser Beratungsunternehmen Aster Fab zufolge erst seit April 2020 einen rechtlichen Rahmen für die Umrüstung konventioneller Fahrzeuge auf elektrische Antriebe. Hier sind es vor allem Start-Ups, die sich im Rahmen von Projekten mit Retrofit befassen.
Wissenschaftler basteln am Brennstoffzellen-Antrieb zur Nachrüstung
Der Lehrstuhl „Produktionstechnik für Komponenten der Elektromobilität“ (PEM) der
RWTH Aachen
entwickelt zurzeit einen modularen Antriebsstrang mit einem Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb für Sattelzugmaschinen im Schwerlastverkehr bis 40 Tonnen. Der etwas sperrige Titel des Projekts lautet „SeLv – Schwere Lastkraftwagen für die emissionsfreie Logistik im Schwerlastverkehr mittels Elektrifizierungsbaukasten und wirtschaftlichem Produktionssystem“. Im Fokus stehen ältere Diesel-Trucks, die sich mit einem technologischen Update in nachhaltige Fahrzeuge verwandeln sollen.
Die zentrale technologische Herausforderung für die Aachener Wissenschaftler ist die Auslegung des Antriebsstrangs. „Unsere Lösung soll sich an die unterschiedlichen Anforderungen der Transportbranche anpassen lassen“, weiß Projektleiter Fabian Schmitt vom PEM. Ein neues Brennstoffzellensystem wollen die Wissenschaftler allerdings nicht erfinden. Dazu würde die mit drei Jahren großzügig bemessene Laufzeit des Forschungsprojekts nicht reichen. Stattdessen soll die Entwicklung des Elektrifizierungsbaukastens mit Komponenten erfolgen, die bereits auf dem Markt verfügbar sind. Der erste Prototyp mit Straßenzulassung soll Mitte des nächsten Jahres auf den Rädern stehen.