Hohes Unfallrisiko bei Fahranfängern
Author: Matthias Gaul
Der DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2022 beschäftigt sich mit der „Mobilität junger Menschen“. DEKRA zeigt darin Lösungen auf, damit künftig weltweit weniger 15- bis 24-jährige Straßenverkehrsteilnehmer verunglücken.
Männlich, mit dem Pkw oder Motorrad unterwegs, zu schnell und möglicherweise alkoholisiert: Diese vier Faktoren dominieren das Straßenverkehrs-Unfallgeschehen junger Menschen in vielen Staaten dieser Welt. Zwar ist die Zahl der bei Unfällen getöteten oder schwer verletzten Verkehrsteilnehmer im Alter zwischen 15 und 24 Jahren in den letzten zehn Jahren teilweise deutlich gesunken. Bezogen auf eine Million Einwohner dieser Altersgruppe liegen die Werte zumeist immer noch deutlich über dem Schnitt der übrigen Altersgruppen. Nach den neuesten verfügbaren Zahlen des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der Universität Washington in Seattle kamen 2019 weltweit rund 175.000 Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren im Straßenverkehr ums Leben. Das entspricht rund 15 Prozent aller Verkehrstoten.
Die Risiken der Fahranfänger
Die bewusst oder unbewusst eingegangenen Risiken sind bekannt. Überhöhte Geschwindigkeit, Selbstüberschätzung, Alkohol- und Drogeneinfluss sowie Ablenkung vom Verkehrsgeschehen durch zum Beispiel die Nutzung digitaler Medien zählen ebenso dazu wie das Nichtanlegen des Sicherheitsgurts und das (Kraft-)Radfahren ohne Helm. Sind speziell Fahranfänger auch noch auf kleineren, kurvigen Außerortsstraßen unterwegs – möglicherweise am Steuer eines älteren Fahrzeugs mit technischen Mängeln –, potenziert sich das Unfallrisiko.
„Für alle Beteiligten sollte dies der unmissverständliche Auftrag sein, mit allen infrage kommenden Maßnahmen gegenzusteuern“, sagte Jann Fehlauer, Geschäftsführer der DEKRA Automobil GmbH, bei der Vorstellung des DEKRA Verkehrssicherheitsreports 2022 „Mobilität junger Menschen“ in Berlin. Wie der Report aufzeigt, sind dabei die Fahrzeugtechnik und Fahrerassistenzsysteme ebenso wie die Straßeninfrastruktur, die Gesetzgebung und die Verkehrsüberwachung, die Verkehrserziehung samt begleitender Kampagnen und die Fahrausbildung sowie viele weitere Maßnahmen im Bereich von Prävention und Unfallfolgenminderung ganz zentrale Faktoren.
Unausgereifte Gefahrenwahrnehmung bei Fahranfängern
Dass Fahranfänger immer wieder in Unfälle verwickelt sind, hat nach Ansicht des britischen Psychologen David Crundall unter anderem auch mit Defiziten bei der Gefahrenwahrnehmung zu tun. Also mit der nicht ausreichenden Fähigkeit, gefährliche Situationen auf der Straße rechtzeitig zu erkennen, um angemessen zu reagieren und einen Unfall zu vermeiden. „Dahinter verbirgt sich eine vielschichtige Kette von Verhaltensweisen, die sich erst mit zunehmender Fahrpraxis ausprägen“, sagt Crundall. Das beginne schon mit dem Erkennen eines möglichen „Gefahrenvorläufers“. Das könne zum Beispiel ein entgegenkommendes Fahrzeug sein, das in eine Seitenstraße abbiegen möchte und dabei die Fahrspur kreuzen muss. Oder ein Fahrzeug, das durch seine baulichen Abmessungen einen Fußgänger verdeckt. Seien die daraus resultierenden Hinweise auf eine mögliche Gefahr gering, suche man die Umgebung im Idealfall weiter ab, und mit der Zeit bilde sich eine Prioritätshierarchie heraus. „Diese Rangliste ist ständig in Bewegung, da neue Elemente in die Liste aufgenommen werden, alte Elemente herausfallen und die aktuellen Elemente entsprechend der dynamischen Situation neu geordnet werden“, erläutert der Psychologe. Versäume man es, einen „Vorläufer“ zu fixieren, bevor eine Gefahr tatsächlich auftaucht, könne es für eine angemessene Reaktion unter Umständen schon zu spät sein.
Fahranfänger besitzen oft ältere Fahrzeuge mit Mängeln
Um deutlich zu machen, wie wichtig vor allem auch ein guter technischer Zustand von Fahrzeugen ist, wurden am DEKRA Lausitzring eigens für den diesjährigen Verkehrssicherheitsreport mehrere Fahrversuche durchgeführt. Dabei stellte sich einmal mehr heraus, dass insbesondere ein stabiler Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn – unabhängig von Wetter und Fahrbahnzustand – essenzielle Bedeutung hat. Nur dann ist schließlich gewährleistet, dass auch Assistenzsysteme wie ABS oder ESP wirksam arbeiten können.
Angesichts der Tatsache, dass viele junge Fahrerinnen und Fahrer vor allem aus finanziellen Gründen sehr häufig mit älteren Fahrzeugen unterwegs sind, bleibt die periodische Fahrzeugüberwachung ein ganz zentrales Element für die Verkehrssicherheit. Denn Alterung, Verschleiß und oftmals auch das fehlende Bewusstsein für technische Mängel sowie Sparen bei Reparatur und Wartung führen unweigerlich dazu, dass ältere Pkw wesentlich häufiger erhebliche Mängel aufweisen und damit ein größeres Unfallrisiko darstellen als jüngere Fahrzeuge.
„Ungeachtet aller Maßnahmen und der verbauten Technik hat jeder einzelne Mensch auf das Entstehen eines Unfalls allerdings nach wie vor den größten Einfluss“, gibt Jann Fehlauer zu bedenken. Unerlässlich seien ein verantwortungsbewusstes Verhalten, die ständige Konzentration auf den Verkehr, die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und ein hohes Maß an Regelakzeptanz seitens aller Verkehrsteilnehmer.
Der DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2022 „Mobilität junger Menschen“ steht online unter www.dekra-roadsafety.com zum Download zur Verfügung. Dort finden sich auch sämtliche Vorgänger-Reports inklusive weitergehender Inhalte, etwa in Form von Bewegtbildern oder interaktiven Grafiken.
DEKRA Forderungen für mehr Verkehrssicherheit junger Menschen
- Besonders gefährliche Verhaltensweisen wie Alkohol und Drogen am Steuer, Ablenkung etwa durch das Smartphone, oder übermäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen müssen konsequent kontrolliert und geahndet werden.
- Für Fahranfänger sollte überall ein absolutes Alkoholverbot am Steuer gelten. Die Erfahrungen in verschiedenen Ländern, unter anderem in Deutschland, belegen die Wirksamkeit.
- Der Verbreitungs- und Nutzungsgrad etwa von telematikgestützten Feedback-Systemen sollte erhöht werden.
- Junge männliche Fahranfänger stellen ein weit überdurchschnittliches Risiko für sich und andere dar. Diese Gruppe muss bei der Verkehrssicherheitsarbeit besonders in den Fokus gerückt werden – auch schon vor Beginn der Fahrausbildung.
- Der mehrstufige Erwerb der Fahrerlaubnis hat sich vielerorts bewährt und sollte daher in weiteren Ländern eingeführt werden.
- Nur eine von Fahrschulen unabhängige, transparente, standardisierte und qualitativ hochwertige theoretische und praktische Prüfung zum Erwerb der Fahrerlaubnis gewährleistet den nötigen Qualitätsstandard bei der Fahrausbildung.
- Bereits während der Fahrausbildung sollte überall der Umgang mit Fahrerassistenzsystemen und automatisierten Fahrfunktionen vermittelt, aber auch die Grenzen dieser Systeme deutlich gemacht werden. Im Idealfall sollte der sichere Umgang mit diesen Systemen auch Teil der Fahrerlaubnisprüfung werden.
- Die praktische Fahrausbildung sollte im Hinblick auf Straßencharakteristik (innerorts, schmale Landstraßen, Autobahn) und Lichtverhältnisse (Nachtfahrten) in allen Ländern möglichst umfassend gestaltet werden.
- Angesichts der Tatsache, dass viele junge Menschen auf Landstraßen tödlich verunglücken, muss beim Neubau solcher Straßen oder bei entsprechenden straßenbaulichen Veränderungen das oberste Ziel die selbsterklärende Straße mit fehlerverzeihender Seitenraumgestaltung sein.
- Die Funktionsfähigkeit mechanischer und elektronischer Komponenten von Systemen der Fahrzeugsicherheit muss über das gesamte Fahrzeugleben hinweg gewährleistet sein. Die Inhalte der periodischen Überwachung von Kraftfahrzeugen sind entsprechend regelmäßig anzupassen.