Eine zweite Chance für Spielzeug und Menschen
Von einer „Win-win-Situation“ spricht man, wenn es bei einer Sache mehr als einen Gewinner gibt. Die Toys Company, ein Projekt der DEKRA Akademie, schafft eine rekordverdächtige „Win-win-win-win-Situation“. Bei der Übungsfirma, in der Langzeitarbeitslose gespendetes Spielzeug wiederaufbereiten und anschließend in einem Shop anbieten, gewinnen die Teilnehmenden, ihre Kunden, die Gesellschaft insgesamt und unsere Umwelt..
Wären sie vor mehr als drei Jahren nicht hier bei Karen Roth-Hanke in der Toys Company Friedrichshafen gelandet, sähe die Zukunft für die beiden Umschüler Julia und Stefan nicht so rosig aus. Jetzt aber, mit der begonnenen Ausbildung zur Fachkraft für Büromanagement in Weingarten, sieht die Sache wieder anders aus. „Durch die persönlichen Gespräche und Coachings konnte ich erstmals aus meinem persönlichen ,Loch‘ herauskommen und eine realistische Perspektive für mein Leben entwickeln“, sagt etwa der 56-jährige Stefan. Julia, 30, ergänzt: „Ich war anfangs sehr zurückhaltend, fast schüchtern. Das ist hier sehr viel besser geworden. Jetzt bin ich bereit für etwas Neues!“
Übungsfirma vermittelt grundlegende betriebliche Kenntnisse
Die beiden hatten von ihren so genannten Fallmanagern bei der Bundesagentur für Arbeit ein Angebot für eine Maßnahme erhalten, weil sie als Langzeitarbeitslose Hartz IV, neuerdings Bürgergeld, bezogen. Die Maßnahme heißt DEKRA Toys Company. Dahinter verbirgt sich das clevere Konzept einer Übungsfirma, die nach den realen Bedingungen eines Wirtschaftsunternehmens funktioniert. Das Geschäftsmodell: beschädigtes Spielzeug, aber auch Kinderkleider, einsammeln, reparieren und wieder an sozial Benachteiligte abgeben. Das an sich ist schon ein schöner Kreislauf und nachhaltig dazu. Der eigentliche Sinn ist es aber, Langzeitarbeitslosen dabei zu helfen, sich wieder an geregelte Tagesabläufe zu gewöhnen und ihnen grundlegende betriebliche Kenntnisse zu vermitteln. Sie durchlaufen dabei verschiedene Abteilungen des Unternehmens, wie zum Beispiel Lagerhaltung, Verkauf oder Werkstatt.
The Toy Company: Bunt geht es hier zu
Ortstermin in Friedrichshafen, ein Industriegebiet in der Nähe des Flughafens und mehrerer ZF-Produktionshallen. Im dritten Stock eines unscheinbaren Baus geht es durch eine Flügeltüre an den Empfang der Toys Company, wo uns die Empfangsdame, ebenfalls eine Teilnehmerin der Maßnahme, ins Büro von Karen Roth-Hanke bringt. Die Leiterin und ihr Chef, der Leiter der DEKRA Akademie Ulm, Wolfgang Leißa, haben gerade eine Besprechung. Deshalb sehen wir uns zwischenzeitlich in den Räumen um. Bunt geht es hier zu: Gesellschaftsspiele, Puzzles, Plüschtiere, Holzspielzeug, Schach- und Mühlebretter stapeln sich bis unter die Decke im Spiele-Verkaufsraum. In der „Boutique“ daneben gibt es Kleidung für Kinder und Jugendliche, alles schön geordnet und mit Aufklebern versehen, auf denen die laufenden Nummern und der Preis stehen.
Punkte statt Euro
Die Sachen kosten hier kein Geld, sondern Punkte. Und einkaufen dürfen hier nur Sozialhilfe-Empfänger, die einen entsprechenden Bescheid vom Jobcenter erhalten haben. Diese Daten sind in der Kundenkartei der Toys Company hinterlegt, ebenso die Anzahl der Kinder in der Familie. Jedes Kind hat nun pro Monat 40 Punkte zur Verfügung, mit denen eingekauft werden kann: Ein Brettspiel kostet beispielsweise zwischen drei und fünf Punkten, eine Winterjacke für Kinder fünf bis acht Punkte. „Unsere mehr als 200 Kunden genießen ein Stück Normalität, wenn sie hier etwas Schönes für die Kinder mitnehmen können“, weiß Roth-Hanke.
Schulungen bei der DEKRA Akademie
Im Schulungsraum gegenüber sitzen eine Handvoll Teilnehmende an Computerarbeitsplätzen, sie nehmen an unterschiedlichen Schulungen teil, zum Beispiel an einem Deutsch-Kurs oder einem Online-Bewerbungstraining. Es herrscht konzentrierte Stille. Julia fühlte sich anfangs nicht recht wohl in dieser Umgebung, erzählt sie selbst. Der Kontakt mit den Kunden fiel ihr schwer. Am liebsten übernahm sie Verwaltungstätigkeiten, da konnte sie ganz für sich arbeiten. „Aber der Kontakt zu den anderen Teilnehmern und die persönlichen Gespräche mit Frau Roth-Hanke haben mir sehr geholfen und mich selbstbewusster gemacht.“ Nach der Mittleren Reife hatte sie eine Lehre im Bereich Grafikdesign angefangen, musste diese aber abbrechen, weil sie sich um ihre Großeltern kümmern musste. Der Wiedereinstieg ins Berufsleben gelang ihr danach ohne Berufsabschluss nicht. Nach eigenen Worten hat sie schon an mehreren Maßnahmen teilgenommen; erst bei der Toys Company hat’s „geschnackelt“. Ihre aktuelle Umschulung zur Fachkraft für Büromanagement, übrigens bei der DEKRA Akademie in Weingarten, ist genau das Richtige für sie: „Mein Traum wäre es, danach etwas in diesem Bereich zu finden.“
Ein zweites Leben für das Spielzeug
An seinem Lieblingsplatz in der Werkstatt finden wir Stefan. Er versucht gerade, einem Spielzeugroboter neues Leben einzuhauchen, was ihm nur bedingt gelingt. „Hmm, da muss es doch einen Weg geben, an das Batteriefach ranzukommen“, murmelt er, völlig versunken in seine Arbeit. Stefan liegt das handwerkliche Arbeiten sehr, er liebt es, in Ruhe vor sich hin zu tüfteln. Eine Ausbildung zum Drucker hatte er nach der Mittleren Reife auf Drängen der Eltern beendet. „Aber schon am ersten Tag habʻ ich gemerkt, dass das nichts für mich ist“, verrät er. Dann folgten Wehrdienst und eine Stelle als Staplerfahrer bei ZF Friedrichshafen. Dort machten ihm die Verdichtung der Arbeit, viele verschiedene Anforderungen und der zunehmende Druck den Garaus. Er wagte den Sprung in die Selbstständigkeit, was ihm misslang. Der 56-Jährige bezog Arbeitslosengeld, rutschte dann ab in Hartz IV, war lange Zeit ohne Arbeit.
Spaß bei der Arbeit
Im Gegensatz zu vielen anderen Schulungsmaßnahmen hatte er in der Toys Company von Anfang an Freude am Arbeiten: „Bei den anderen Maßnahmen wusste ich nicht, wie ich bloß den Tag rumkriegen soll. Hier wunderte ich mich oft: Was, ist schon wieder Pause?“ Voll des Lobes ist er für Karen Roth-Hanke, die für ihn mehr als eine Lehrgangsleiterin war, nämlich Coach und Beraterin: „Sie hat mich ermutigt, den nächsten Schritt zu gehen, dafür bin ich ihr sehr dankbar.“ Die so Gelobte hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, sondern legt auch großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Schützlinge. Unter anderem bietet sie Malkurse und Yoga an. „Da werden dann schon mal die Werkbänke in der Werkstatt beiseitegeschoben, um Platz zu machen“, sagt sie fröhlich.
Wenn alle Rädchen ineinandergreifen
Nachmittags ab 15 Uhr, wenn die Toys Company schließt, bietet sie zusätzlich Einzelgespräche und Coachings für die Teilnehmenden an. Akademie-Leiter Wolfgang Leißa ist voller Anerkennung angesichts der Erfolgsgeschichten von Stefan und Julia. „Natürlich schaffen nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer diesen Sprung, aber ich sehe viel Motivation auf Seiten der Teilnehmenden, aber auch von den sehr engagierten Fallmanagern beim Jobcenter, die diesen außergewöhnlichen Schritt mit uns gegangen sind. Wenn dann wie in diesem Fall alle Rädchen ineinandergreifen und man den Menschen zum Erfolg verhelfen kann, ist das schon toll!“
„Wenn dann wie in diesem Fall alle Rädchen ineinandergreifen und man den Menschen zum Erfolg verhelfen kann, ist das schon toll!“
Akademie-Leiter Wolfgang Leißa