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Um sicher von A nach B zu kommen, braucht es unter anderem eine funktionierende, sichere Verkehrswegeinfrastruktur. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO werden aktuell bis zu 50 Millionen Menschen jährlich bei Straßenverkehrsunfällen verletzt, rund 1,2 Millionen davon tödlich. „Die Ursachen sind vielfältig. Oft spielen aber die Gestaltung und der Zustand der Straßeninfrastruktur eine negative Rolle – als mitverursachende Faktoren oder indem sie die Unfallfolgen vergrößern“, so Jann Fehlauer, Geschäftsführer der DEKRA Automobil GmbH, bei der Vorstellung des DEKRA Verkehrssicherheitsreports 2024 „Verkehrsräume für Menschen“ in Berlin. Rund um dieses Thema beleuchtet der 17. Report der Reihe zahlreiche Problemfelder aus Sicht der Unfallforschung, der Verkehrspsychologie, der Fahrzeugtechnik, der Infrastrukturgestaltung und der Gesetzgebung.
Mehr denn je steht die Straßeninfrastruktur im Spannungsfeld unterschiedlichster Ansprüche. Hinzu kommt der rasante Wandel im Mobilitätsverhalten in vielen Teilen der Welt. Weiterentwicklungen in den Bereichen Sensorik, Rechnerleistung und Akkukapazität haben neue Mobilitätsformen hervorgebracht oder bisherige revolutioniert. Der Wandel vollzieht sich dabei schneller, als Anpassungen der Infrastruktur möglich sind.
„Angesichts dieser komplexen Herausforderungen sind die sorgfältige Planung und Umsetzung entsprechender Maßnahmen wichtiger denn je, um Unfälle möglichst ganz zu vermeiden oder zumindest ihre Folgen zu minimieren“, so Fehlauer. Die Anforderungen an die Straße sowie den zugehörigen Seitenraum hängen dabei von vielen Parametern ab – etwa vom Zweck der Straße, von der erwarteten Verkehrsstärke und vom Modal Split, also der Nutzung der Straße mit verschiedenen Verkehrsmitteln. Nicht zuletzt spielt es auch eine Rolle, wer die Kosten für Planung, (Um-)Bau und Unterhalt trägt. „Aber egal, ob Infrastruktur für den Mischverkehr ausgelegt ist, wie Orts- und Landstraßen, oder ob sie bestimmten Gruppen an Nutzenden vorbehalten ist, wie etwa Fußgängerzonen, Radschnellwege oder Autobahnen: Die Sicherheit muss immer im Fokus stehen“, betonte Fehlauer.
Unzureichender Straßenzustand in vielen Teilen der Welt
Dass es in diesem Punkt noch eine Menge zu tun gibt, zeigt ein Blick auf die Statistik. Zwar sank in der EU die Zahl der Verkehrstoten zwischen 2010 und 2021 um 32,8 Prozent von 29.600 auf 19.900. Im Jahr 2022 erhöhte sich die Zahl aber wieder auf knapp 20.600, für 2023 geht die EU von rund 20.400 Verkehrstoten aus. Eine Prognose über die weitere Entwicklung ist momentan kaum möglich. „Aus heutiger Sicht dürfte aber das von der WHO wie auch von der EU selbst gesteckte Ziel, die Zahl der Verkehrstoten im Zeitraum 2021 bis 2030 zu halbieren, schwierig zu erreichen sein“, führte der DEKRA Automobil Geschäftsführer aus.
Er verwies in diesem Zusammenhang auf den „Global Plan for the Second Decade of Action for Road Safety 2021-2030“ der Vereinten Nationen. Darin sind zwölf freiwillige Leistungsziele festgelegt, von Bedeutung in Sachen Infrastruktur sind dabei insbesondere die Ziele 3 und 4. Gemäß Zielvorgabe 3 sollen bis 2030 alle neuen Straßen für alle Verkehrsteilnehmenden technische Standards erfüllen, die der Verkehrssicherheit Rechnung tragen, oder eine Drei-Sterne-Bewertung oder besser erreichen. Und laut Zielvorgabe 4 sollen bis 2030 mehr als 75 Prozent der Fahrten auf Straßen erfolgen, die technische Standards für alle Verkehrsteilnehmenden erfüllen und der Verkehrssicherheit Rechnung tragen. Global betrachtet, erreichen in diesem Punkt aktuell jedoch nur etwa ein Fünftel der Straßen für zu Fuß Gehende, Radfahrende und Aufsassen motorisierter Zweiräder mindestens das Drei-Sterne-Rating. Das zeigt der vom International Road Assessment Programme (iRAP) entwickelte iRAP Safety Insights Explorer. iRAP ist eine gemeinnützige Organisation mit Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen.
Infrastruktur und Geschwindigkeitsbegrenzung können wesentlich sein
Nach Ansicht von Kristian Schmidt, Europäischer Koordinator für Straßenverkehrssicherheit, spielt die Infrastruktur eine entscheidende Rolle bei den verschiedenen Faktoren, die seitens der EU mit dem „Safe System“-Ansatz angegangen werden. „Die Infrastruktur ist für rund 30 Prozent aller schweren Verkehrsunfälle maßgeblich“, schreibt Schmidt im DEKRA Verkehrssicherheitsreport. Während Straßen mit gutem Instandhaltungszustand das Unfallrisiko senken, würden Fehler verzeihende Straßen den Schweregrad von möglichen Unfällen verringern. Künftig werde die Sicherheit der Infrastruktur systematischer und proaktiver geprüft, um gezielte Investitionen zu unterstützen. „Es ist keine Option, erst auf das Eintreten tödlicher Unfälle zu warten, wie es bei der vorherigen Erfassung von Unfallschwerpunkten der Fall war“, so Schmidt.
Antonio Avenoso, Geschäftsführer des Europäischen Verkehrssicherheitsrats (ETSC), fokussiert sich in seinem Statement auf das Thema „Tempo 30 in der Stadt“. Seiner Ansicht nach sollten Städte und Gemeinden ermächtigt werden, standardmäßig Tempo 30 einzuführen, ohne dass die nationalen Regierungen ihnen dabei Steine in den Weg legen. „Es wäre naiv zu denken, dass es aufgrund von Tempo 30 keine Verkehrstoten und Verletzten in den Städten mehr geben wird. Es sollte jedoch als einfache, kostengünstige Maßnahme betrachtet werden, die nicht nur der Sicherheit dient“, sagt Avenoso. Dadurch werde auch laut und deutlich die Akzeptanz einer Realität signalisiert, die in vielen Ecken Europas in Vergessenheit geraten sei: dass Städte zum Nutzen aller Bürger gestaltet werden sollten und nicht nur derjenigen, die sich für das Auto entscheiden.
Unfallfolgen durch Straßenausstattung
Thematisiert werden im DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 unter anderem auch die Unfallrisiken, die von unterschiedlichsten Objekten im Straßenseitenraum herrühren. So sind Ampelmasten, Lichtmasten, Verkehrsschilder oder Pfosten zwar für einen sicheren und geregelten Straßenverkehr unerlässlich, gleichzeitig können sie aber auch gefährliche Hindernisse darstellen. Bereits im Verkehrssicherheitsreport 2017 zeigte DEKRA mit einem Crashversuch eindrücklich auf, welche Gefahren für stürzende Motorradfahrer aus dem Anprall an starre Pfosten von Kurvenleittafeln resultieren können. Um die Risiken von starren Pollern für Radfahrende zu visualisieren, hat DEKRA für den aktuellen Report einen Crashtest mit einem dreirädrigen Lastenrad durchgeführt – verglichen mit einem identischen Test mit einem nachgiebigen Pfosten aus Kunststoff.
Beim Anprall gegen den starren Pfosten kam es zu einer starken Verzögerung, durch die der Dummy vom Sattel in Richtung Lenker geschleudert wurde. Der Pfosten knickte ab und fungierte so als Rampe. Das Heck des Fahrrads wurde angehoben, der Dummy abgeworfen. Das Fahrrad kippte um. In einer realen Fahrsituation hätte die Person auf dem Lastenrad schwere Verletzungen davontragen können. Im anderen Versuch mit dem flexiblen Pfosten wurde dieser einfach überfahren und stellte sich anschließend wieder selbst auf. Zu nennenswerten Verzögerungen kam es nicht, der Dummy blieb auf dem Sattel, der Fahrzustand blieb kontrollierbar.
Konnektivität und Cyber-Sicherheit müssen gewährleistet sein
Angesichts der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung innerhalb und außerhalb von Fahrzeugen werden in Sachen Infrastruktur zukünftig auch die zur Verfügung stehenden Kommunikationstechnologien wie etwa 5G eine immer wichtigere Rolle spielen. „Wenn die Fahrzeuge untereinander ebenso wie mit Ampelanlagen oder Verkehrsleitsystemen kommunizieren sollen, muss jederzeit die dafür notwendige Konnektivität gewährleistet sein, damit nicht zuletzt auch ungeschützte Verkehrsteilnehmende wie zu Fuß Gehende und Zweiradfahrende von der vernetzten Mobilität profitieren“, so Fehlauer. Mit dem immer höheren Automatisierungsgrad in Fahrzeugen und der zunehmenden Vernetzung steigt seiner Ansicht nach auch die Gefahr elektronischer Manipulationen von außen an. Um die für Cyberattacken offenen Einfallstore zu schließen, müsse daher so früh wie möglich gegengesteuert werden – beispielsweise in Form ganzheitlichen Cyber-Security-Management-Systems.
Bei allen Optimierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit darf nach Ansicht des DEKRA Automobil Geschäftsführers aber eine wesentliche Maßgabe nicht vergessen werden: „Um gefährliche Situationen möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen, sind und bleiben verantwortungsbewusstes Verhalten, die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und ein hohes Maß an Regelakzeptanz unerlässlich.“ Daran könnten auch die beste Straßen- und Kommunikationsinfrastruktur oder Fahrzeugtechnik nichts ändern.
Der DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 „Verkehrsräume für Menschen“ steht online unter
www.dekra-roadsafety.com
zum Download zur Verfügung. Dort finden sich auch sämtliche Vorgänger-Reports inklusive weitergehender Inhalte, etwa in Form von Bewegtbildern oder interaktiven Grafiken.
Zehn DEKRA Forderungen für mehr Verkehrssicherheit
Der immer schnellere Wandel im Bereich der Mobilität erfordert schnelle Reaktionen bei der Infrastrukturgestaltung. Planungszeiträume müssen verkürzt, hinderliche Überreglementierung reduziert werden.
Für eine intakte Straßeninfrastruktur (Neubau, Ausbau und Erhalt) sind ausreichende Mittel für Investitionen bereitzustellen.
Der Auf- und Aufbau einer intelligenten Infrastruktur (Car-to-Infrastructure-Kommunikation) muss forciert werden, um das volle Potenzial von Systemen des automatisierten Fahrens ausschöpfen zu können.
Für vernetzte Fahrzeugtechnologien und hochautomatisiertes Fahren müssen eine zuverlässige Kommunikationsinfrastruktur sowie Standards für die Fahrzeugkommunikation gewährleistet sein.
Auf unfallträchtigen Strecken muss der Ausbau von Abschnitten mit drittem Fahrstreifen im Richtungswechsel forciert werden, um ein sicheres Überholen zu ermöglichen.
An kritischen Streckenabschnitten müssen vermehrt Überholverbote eingeführt und durchgesetzt werden.
Der Seitenraum von Landstraßen sollte wo immer möglich frei von Hindernissen wie Bäumen, Masten etc. sein. Wo dies nicht möglich ist, sind geeignete Schutzeinrichtungen anzubringen.
Eine ausreichende Zahl von gesicherten Querungsstellen für zu Fuß Gehende und Radfahrende ist unverzichtbar.
Kreisverkehrsanlagen können vielerorts den Verkehrsfluss und die Sicherheit erhöhen. Dabei ist unbedingt auf ihre sichereGestaltung zu achten.
Zur Erhöhung der Akzeptanz und Einhaltung sowie generell zur Bekanntmachung speziell auch neuer Verkehrsvorschriften sollten Verkehrserziehung und Überwachung noch mehr im Fokus stehen. Ergänzende Imagekampagnen können einen wichtigen Beitrag leisten.