Das Ziel lautet negative CO2-Emissionen
Author: Michael Vogel
Ohne den Einsatz von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung wird es der Menschheit kaum noch gelingen, den Anstieg des atmosphärischen CO2 zu verringern und letztlich rückgängig zu machen. Wichtig für die Umsetzung: Vertrauen entlang der Prozesskette.
2021 ging „Orca“ in Betrieb, 2024 „Mammoth“. Beide Anlagen sind eine Antwort auf den Klimawandel. Denn beide entziehen der Atmosphäre CO2. Sie stehen in Island, weil es dort viel günstigen regenerativen Strom gibt und weil das dortige Gestein sich eignet, um das der Luft entnommene CO2 dauerhaft einzulagern. Die beiden Anlagen betreibt das Schweizer Unternehmen Climeworks, eine Ausgründung der ETH Zürich. Mit seinem Verfahren will Climeworks dazu beitragen, dass die CO2-Konzentration der Atmosphäre sinkt.
Direct Air-Capture nennt sich die Technologie. Dabei sammelt ein spezielles Material CO2, das dann in einem zweiten Schritt kontrolliert abgesaugt wird, um es sicher zu speichern: ein wiederverwendbarer Filter für das Klimagas. Die Fluglinien Lufthansa, Swiss und British Airways sind inzwischen Kunde von Climeworks. Sie erhoffen sich dadurch, ihre CO2-Emissionen unterm Strich dauerhaft senken zu können. Climeworks ist derzeit weltweit das Unternehmen, das Direct-Air-Capture-Anlagen mit den größten Kapazitäten betreibt. Allerdings sind auch diese gering, in der Summe liegen sie bei maximal 40.000 Tonnen pro Jahr. Zum Vergleich: Das entspricht nur den jährlichen CO2-Emissionen von etwas weniger als 30.000 Kleinwagen bei einer Laufleistung von jeweils 15.000 Kilometern.
CCS und CDR – was steckt dahinter?
Geht es um die technische Reduktion von CO2-Emissionen tauchen oft zwei Abkürzungen auf, die zwar miteinander verwandt, aber nicht identisch sind: CCS und CDR. Unter Carbon Capture and Storage (CCS) fällt die Abscheidung von CO2 aus industriell erzeugten Abgasen. Das abgeschiedene CO2 wird dann dauerhaft geologisch, im Meer, in Biomasse oder in langlebigen Produkten gespeichert, so die Idee. Carbon Dioxide Removal (CDR) umfasst alle anthropogenen Maßnahmen, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen und das Gas ebenfalls auf eine die bereits genannten Weisen dauerhaft zu speichern. „Alle diese Technologien bieten entscheidende Möglichkeiten zur Dekarbonisierung von Industrien, bei denen dies besonders schwierig ist“, sagt Sebastian Bartels, Leiter der Global Sustainability Services bei DEKRA. Beispiele sind die Herstellung von Zement, Stahl oder manchen chemischen Grundstoffen.
Lange Zeit war der Entzug von CO2 aus der Luft politisch und gesellschaftlich stark umstritten, weil es die Befürchtung gab, dass Technologen wie CCS die nachhaltige Transformation der Wirtschaft verlangsamen. Inzwischen bekommen Meinungen immer mehr an Gewicht, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre schon so weit fortgeschritten ist, dass die Menschheit wohl auf alle sich bietenden Chancen zur Reduktion angewiesen sein wird.
Netto-Null-Szenario – ist das möglich?
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) ist die Einführung der Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung „in der Vergangenheit hinter den Erwartungen zurückgeblieben, hat aber in den letzten Jahren mit mehr als 700 Projekten in verschiedenen Entwicklungsstadien entlang der Wertschöpfungskette erheblich an Dynamik gewonnen“. Doch selbst auf diesem Niveau bleibe der Einsatz dieser Technologien deutlich hinter den Anforderungen des Netto-Null-Szenarios zurück – eines kohlenstoffneutralen Lebens und Wirtschaftens.
„CDR ist gut für das Klima und kann sich positiv auf Ökosysteme und Biodiversität auswirken. Alle Methoden sind auch wirtschaftlich interessant, und jedes Land hat ein CDR-Potenzial“, betont Chris Sherwood, Generalsekretär der Negative Emissions Platform. Der Interessenverband unterstützt und fördert Technologien zur CO2-Entfernung aus der Atmosphäre. In ihm sind viele Start-ups organisiert, die einschlägige Technologien entwickeln, wie Climeworks, aber auch Unternehmen wie Microsoft oder die Energiekonzerne E.ON und RWE. Wichtig ist Sherwood eine Abgrenzung zwischen CDR and CCS: „CCS trägt dazu bei, dass es nicht noch schlimmer wird. CDR dagegen repariert die Schäden!“ Denn durch CDR kann die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wieder sinken. Das, so Sherwood, „macht den Menschen Hoffnung“.
Mit Biokohle negative Emissionen erreichen
Es gibt verschiedene Ansätze, mit denen sich solche negativen Emissionen erreichen lassen. Biokohle ist ein Beispiel dafür: Statt biologische Abfälle zu kompostieren, ließe sich aus ihnen mit geeigneten Verfahren, die deutlich weniger CO2 freisetzen, Kohle herstellen. Diese Kohle wiederum ließe sich zum Beispiel in der Landwirtschaft, in der Filterung von Schadstoffen oder gar als Elektrodenmaterial in Batterien nutzen. Direct-Air-Capture wie bei den Anlagen von Climeworks ist ebenfalls ein CDR-Ansatz. Ein weiterer ist die Kopplung der Bioenergieproduktion mit Carbon Capture: Dann lässt sich der Prozess kohlenstoffnegativ ausführen, da das von den Pflanzen während des Wachstums gebundene CO2 bei der Energieerzeugung abgeschieden wird. Die IEA formuliert es so: „Bioenergie mit Carbon Capture ist das einzige Verfahren zur CO2-Entfernung, das auch Energie liefern kann.“ Ein weiteres Beispiel ist die beschleunigte Verwitterung von Gestein, wobei ebenfalls der Atmosphäre CO2 entzogen wird. Damit ist die Liste der Ansätze noch lange nicht zu Ende. „Sie unterscheiden sich natürlich in ihrem technischen Reifegrad“, sagt Sherwood. „Mit am weitesten entwickelt ist Direct-Air-Capture, gerade in naher Zukunft wird auch Biokohle eine wichtige CDR-Methode sein.“
Natürlich geht es bei all dem nicht nur um technische und wirtschaftliche Fragen, sondern auch um die regulatorischen Rahmenbedingungen. In der EU sind diese zum Beispiel für Direct-Air-Capture und Bioenergie mit Carbon Capture inzwischen weit fortgeschritten. Es gibt auch eine Regelung zu europäischen Biokohle-Zertifikaten. Das Europäische Parlament einigte sich in diesem Jahr auf eine Verordnung über Kohlenstoffabbau und Kohlenstoffbewirtschaftung.
Der Weg für die in der NEP organisierten Start-ups sei nicht immer leicht gewesen, so Sherwood: „Sie haben zwar Mittel für Forschung, Entwicklung und Pilotprojekte, aber nicht um ihre Technologien industriell zu skalieren. Um Investoren anzuziehen, müssen die politischen Signale klarer sein.“
Vertrauen in der Prozesskette herstellen
„Für CCS- und CDR-Methoden gilt es, Vertrauen entlang der Prozesskette herzustellen – bis zu den Investoren“, sagt Sebastian Bartels. „Alle Beteiligten müssen nachvollziehen können, ob etwa Standards eingehalten werden oder wieviel CO2 tatsächlich eingefangen worden ist. Der Schlüssel ist hier die unabhängige Verifizierung.“ Dabei werde es auch viele neue Player geben, die zwangsläufig keine jahrzehntelange Erfahrung mit Risikomanagement und -minimierung hätten. Das ambitionierte Ziel, den Kohlenstoffausstoß zu verringern, wird auch nicht auf nationale Grenzen beschränkt bleiben, weshalb die Technologien und Verfahren über Wirtschaftsregionen, Branchen und Energiequellen hinweg interoperabel sein müssten, so Bartels weiter. „DEKRA sieht die eigene Rolle darin, technisches Fachwissen in den Feldern Sicherheit, Gefahrenabwehr und Nachhaltigkeit zur Verfügung zu stellen und Unternehmen bei der Einhaltung der Vorschriften zu unterstützen sowie die finale Verifizierung von Prozessen und Produkten durchzuführen.“