Autonom unterwegs – ein weiter Weg

Author: Michael Vogel

19. März 2025 Fahrzeugtechnik / Sicherheit im Verkehr / Automobil

Die Vision vom hochautomatisierten Fahren ist zwar in den vergangenen Jahren greifbarer geworden. Trotzdem gibt es technisch und regulatorisch noch viele ungelöste Fragen.

Michael Knights Fahrzeug K.I.T.T. war der heimliche Star der Fernsehserie „Knight Rider“: Das Gefährt konnte denken, sprechen und selbstständig fahren. K.I.T.T. ist so etwas wie der Film gewordene Goldstandard des hochautomatisierten Fahrens. Genauer: der bislang unerreichte Goldstandard. Daran hat sich auch nach vielen Jahren intensiver Technologieentwicklung nichts geändert. Denn für das hochautomatisierte Fahren muss beides zusammenpassen: Technik und Regulatorik – und da bleibt noch viel zu tun.
Bei der Entwicklung von hochautomatisierten Fahrzeugen – in der Szene wird jenseits des Marketings nur ungern von autonomen Fahrzeugen gesprochen – gibt es zwei grundlegend unterschiedliche Herangehensweisen: die revolutionäre und die evolutionäre. Revolutionär soll heißen, dass Unternehmen solche Autos mit vielen modernen Sensoren und Recheneinheiten ausrüsten, um in einem komplexen, unberechenbaren Umfeld sicher und hochautomatisiert fahren zu können. Das bedeutet großen Aufwand, der einen Einsatz auf dem Massenmarkt noch nicht realistisch macht. Hierbei sind sehr viele neue Technologien im Einsatz, viele – wie etwa die Künstliche Intelligenz – sind noch Thema der Forschung.

Autonomes Fahren – der aktuelle Stand selbstfahrender Autos

Evolutionär soll heißen, dass Unternehmen die existierende Technik nutzen, um wenigstens in klar definierten, begrenzten Szenarien sicher und hochautomatisiert fahren zu können. „Den Ansatz, der von den Kosten her noch nicht massenmarkttauglich ist, verfolgen vor allem Unternehmen aus den USA und China, den Ansatz mit schon heute massenmarkttauglicher Sensorik vor allem europäische“, sagt Uwe Burckhardt, Leiter Test und Event am DEKRA Lausitzring. „Beide Ansätze können zum angepeilten Ziel führen, sie laufen auch mittelfristig aufeinander zu, wenn die moderne Sensorik und Rechenleistung durch technische Weiterentwicklung und Skalierung nach und nach günstiger werden. Welcher Ansatz am Ende der richtigere war, wird die Zukunft zeigen.“
Alle Fahrzeuge mit revolutionärem Ansatz sind zudem in Städten unterwegs, die günstige Wetterbedingungen haben: kein Schnee, wenig Nebel. Sonst bekommen sie nämlich rasch Probleme. Weltweit technisch am weitesten fortgeschritten sind derzeit die Fahrzeuge der Google-Tochter Waymo. Vor allem in San Francisco gehören deren Robotaxis zum Straßenbild. Laut der Kommission für öffentliche Versorgungsbetriebe in Kalifornien haben die Fahrzeuge des Unternehmens im August 2024 rund 312.000 Fahrten in dem Bundesstaat absolviert, eine Zahl, die sich innerhalb von drei Monaten verdoppelt hatte. Neben San Francisco ist Waymo auch in Las Vegas, Los Angeles und Phoenix aktiv. In weiteren 25 US-amerikanischen Ballungszentren untersucht das Unternehmen, was für einen Robotaxi-Betrieb nötig wäre. Waymos Aktivitäten sind extrem kapitalintensiv. „Und diese Fahrzeuge wären aktuell mit europäischen Vorgaben schwierig zu vereinbaren“, so Burckhardt. „Letztlich gilt in den USA beim hochautomatisierten Fahren, dass die Betreiber in die Produkthaftung gehen, weil allein sie den sicheren Betrieb sicherstellen müssen– ein Ansatz, der zum Beispiel in Europa undenkbar wäre.“
Der – in punkto Robotaxi-Zahlen – größte Konkurrent, die GM-Tochter Cruise, hat übrigens Anfang Dezember 2024 den Betrieb eingestellt. Ein schwerer Unfall mit einem Cruise-Fahrzeug im Jahr 2023 und die nachfolgende massive Kritik der Aufsichtsbehörde wegen unzureichender Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei Cruise führten dazu, neben der aktuell insgesamt schwierigen wirtschaftlichen Situation der Automobilindustrie.
Zwar ist der technische Ansatz in China recht ähnlich zum US-amerikanischen, doch auf Seiten der Regulierungsbehörden gibt es einen deutlichen Unterschied, wie Burckhardt feststellt: „Weil das hochautomatisierte Fahren politisch gewollt ist, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einführung dieser Technologien deutlich günstiger gestaltet.“ Allerdings greifen solche Regelungen innerhalb Chinas aktuell immer nur lokal. Ein chinesisches Vorzeigeprojekt sind die Robotaxis der Baidu-Tochter Apollo Go in der Stadt Wuhan. Dort sind seit dem Sommer 2024 ungefähr 400 Fahrzeuge unterwegs.

So steht es um die Fahrzeuge in Europa – die Regularien

In Europa, der Region des evolutionären Ansatzes, stehen Robotaxis derzeit bei keinem Unternehmen vorne auf der Agenda. Vielmehr gilt das Interesse den sogenannten Peoplemovern, sensorisch aufgerüsteten Kleinbussen für den öffentlichen Nahverkehr, sowie den Lkws. Die Peoplemover fahren in klar definierten, eng beschränkten Arealen mit geringer Geschwindigkeit. Es gab und gibt viele Forschungs- und Pilotprojekte. Auch bei Lkws geht es um klar begrenzte Einsatzszenarien: Etwa die Verbindungsstrecke zwischen zwei autobahnnahen Verteilzentren oder der Einsatz auf großen Betriebsgeländen.
Des Weiteren haben Mercedes-Benz und BMW unabhängig voneinander hoch entwickelte Pkw-Fahrassistenzsysteme auf den Markt gebracht, mit denen sich Autobahnfahrten unter klar definierten Randbedingungen – im Hinblick auf Verkehrssituation, Geschwindigkeit und Witterung – ohne Hände am Steuer absolvieren lassen.
Maik Beermann, Leiter Außen- und Regierungsbeziehungen bei DEKRA, betont, dass neben den technischen Fortschritten vor allem mit Blick auf die Regulierung noch einiges zu tun ist, „sonst endet die Vision vom hochautomatisierten Fahren spätestens an den Landesgrenzen“. Denn derzeit gibt es überall nur Insellösungen. Deutschland hat bereits das Fahren auf Automatisierungs-Level 4 gesetzlich geregelt. Frankeich zog nach, Großbritannien will das 2025 tun. Level 4 bedeutet, dass ein hochautomatisiertes Fahrzeug in definierten Szenarien ohne menschliche Kontrolle auskommt, auch in Notsituationen.
„Auf EU-Ebene ist die Regulatorik noch nicht so weit wie in Deutschland und Frankreich“, sagt Beermann. „Es sind gesetzlich nur Szenarien definiert, in deren Rahmen das hochautomatisierte Fahren erlaubt ist, aber nicht grundsätzlich zum Beispiel das Fahren auf Autobahnen.“ Gemeinsam ist diesen Szenarien, dass es wenig Verkehr und räumlich eng begrenzte Areale gibt, um relativ einfach und vor allem kontrolliert ein hohes Maß an Verkehrssicherheit gewährleisten zu können. Beispiele sind Fahrzeuge, die Fluggäste zwischen zwei Terminals transportieren, oder der Warentransport auf Logistikflächen. Beermann hofft, dass eine verallgemeinerte Regulierung nun nach den jüngsten EU-Wahlen „beschleunigt angegangen wird“.
Auch in den USA gibt es derzeit einen Flickenteppich, mit wenigen Bundesstaaten wie Kalifornien, die bereits recht weitreichende Gesetze getroffen haben. Ähnlich ist die Situation in China, wobei die dortige Regierung plant, im Jahr 2025 die gesetzlichen Bestimmungen landesweit zu vereinheitlichen. „Das wäre für Wirtschaftsregionen wie Nordamerika und Europa eine zusätzliche Motivation, um eine Vereinheitlichung in der eigenen Region rasch voranzutreiben“, glaubt Beermann. „Nur wenn die großen Wirtschaftsräume für sich regulatorische Standards zum hochautomatisierten Fahren gefunden haben, rückt eine weltweite Harmonisierung in greifbare Nähe.“ Das sei auch für die Industrie wichtig, weil sonst viel Aufwand für Lokalisierungen nötig sei.

Testgelände sind der entscheidende Erfolgsfaktor

Uwe Burckhardt weist darauf hin, dass Testgeländen wie dem DEKRA Lausitzring eine zentrale Bedeutung für die Absicherung künftiger hochautomatisierter Fahrzeugtechnologien zukommen wird: „Dort ist es möglich, die Simulationen mit realen Fahrtests abzugleichen beziehungsweise diese zu validieren.“ Denn um sicherzustellen, dass ein hochautomatisiertes Auto verkehrssicher ist, reichen Testfahrten im öffentlichen Verkehr nicht aus, weil sich so nicht annähernd jedes vorstellbare Gefährdungsszenario abdecken ließe. „Das geht schon aufgrund der aus statistischen Gründen zu fahrenden Kilometerzahl nicht“, sagt Burckhardt. Vielmehr helfen Simulationen dabei, die nötige Absicherungstiefe herzustellen. Diese Simulationen gilt es dann jedoch – zumindest für charakteristische Fälle und Extremfälle wiederum mit realen Testfahrten auf Prüfgeländen wie dem DEKRA Lausitzring zu validieren. Der DEKRA Lausitzring ist das größte unabhängige Testgelände Europas. Mit der konsequenten, strategischen Ausrichtung auf die Absicherung automatisierter und vernetzter Fahrfunktionen ist man schon heute in der Lage, fast 80 Prozent der relevanten Verkehrsszenarien abzubilden.
„Doch es geht nicht nur um den Abgleich der Ergebnisse von Simulation und Realfahrt“, sagt Burckhardt. „Entscheidend ist, die drei Werkzeuge Simulation, reproduzierbare Prüfgeländetests und Fahrten im realen Verkehr mit einer ganzheitlichen Methodik in Einklang zu bringen. Damit können dann die Entwicklung des Herstellers und die dabei durchgeführten Simulationen in geeigneter Art und Weise an den notwendigen relevanten Szenarien validiert werden – mit dem Ziel, dass das Gesamtsystem aufgrund der so gewonnenen Erkenntnisse als sicher eingestuft werden kann.“
Aufgrund der technischen, regulatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind Burckhardt und Beermann überzeugt, dass hochautomatisiertes Fahren in absehbarer Zeit vor allem in gewerblichen Anwendungen Einsatz finden wird, weil sich dort mit eingesparten Personalkosten der technologische Aufwand schneller rechnet – zum Beispiel bei Robotaxis, automatisierten Lkws und Verkehrskonzepten für die letzte Meile. Auf ein privates Auto wie K.I.T.T. müssen wir dagegen noch sehr lange warten.
Der Industrieverband SAE hat spezifiziert, wie sich Systeme des automatisierten Fahrens unterscheiden lassen:
  • Level 0: Allein dem Menschen obliegt die Fahraufgabe.
  • Level 1: Der Mensch übernimmt die Fahraufgabe, kann aber durch zum Beispiel Spurhalteassistent oder Adaptive Cruise Control unterstützt werden.
  • Level 2: Mehrere Assistenzsysteme helfen gleichzeitig beim Lenken, Bremsen oder Beschleunigen. Die Kontrolle und Umgebungsüberwachung sind aber weiterhin die Aufgabe des Menschen.
  • Level 3: Assistenzsysteme übernehmen weite Teile der Fahraufgabe. Der Mensch kann seine Aufmerksamkeit vorübergehend vom Verkehr abwenden, muss jedoch immer bereit sein, die Fahraufgabe vollständig zu übernehmen.
  • Level 4: Das Führen des Fahrzeugs obliegt in bestimmten Einsatzszenarien allein den Systemen. Das gilt auch für Notsituationen.
  • Level 5: Das Fahrzeug ist in allen Verkehrssituationen und bei allen Fahrbahn- und Umgebungsbedingungen autonom. Der Mensch muss nicht mehr eingreifen, kann es wegen fehlender Bedienelemente womöglich auch gar nicht.