Das waren noch Zeiten!
Author: Joachim Geiger
Lust auf eine Zeitreise über die Ozeane? Die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan und Südkorea waren in automobiler Hinsicht quasi abgeschottete Welten – häufig mit Marken, die es längst nicht mehr gibt.
Das Autoland Nordamerika ist eine wahre Fundgrube für verschwundene Automarken. Vor allem General Motors (GM) und Chrysler haben in ihrer langen Geschichte viele ehrwürdige und legendäre Marken gesammelt und wieder in die Versenkung geschickt. Automobile von Oldsmobile und Pontiac, Imperial, DeSoto und Plymouth sind heute längst nicht nur Liebhabern ein Begriff. Aber was ist eigentlich aus ihnen geworden?
Beispiel Chrysler: Der Autobauer musste seine Prestigemarke Imperial mangels Nachfrage bereits 1975 einstellen, auch wenn spätere Chrysler-Modelle in der Topversion den Namen noch einmal verwenden sollten. DeSoto ging mehr oder weniger wegen mangelnder Qualität schon 1960 in der Marke Plymouth auf, die sich ihrerseits 2001 unter der Ägide von DaimlerChrysler vom Markt verabschiedete. Ein eigenes Kapitel in der turbulenten US-Automobilgeschichte schrieb auch American Motors Corporation (AMC). Das 1954 gegründete Unternehmen spielte zwar nicht in der gleichen Liga wie die Big Three aus Detroit – Ford, GM und Chrysler. Allerdings landete AMC 1970 einen Coup, als es gelang, den Hersteller Kaiser Jeep – die frühere Willys Motor Company – zu übernehmen. Der Jeep entwickelte sich in den nächsten Jahren zu einer veritablen Cashcow, was in der Branche für Begehrlichkeiten sorgte. 1987 trat schließlich Chrysler auf den Plan, kaufte AMC, integrierte den Jeep ins eigene Portfolio und stellte die Marke AMC ein.
In Europa träumten Generationen von Straßenkreuzern und Muscle-Cars
Von diesen und anderen Verwerfungen bekamen Europäer in jenen Jahren allerdings kaum etwas mit. Generationen von Autofans pflegten ihre eigenen Träume vom automobilen US-Markt. Häufig ging es dabei um mächtige Straßenkreuzer und Muscle-Cars mit überbordender Leistung aus einem Big Block-V8. Letzterer galt schon immer als probater Ausweis für die Originalität eines amerikanisches Autos. Die Entsprechungen auf dem realen Markt waren stattliche Coupés vom Schlag eines Oldsmobile Toronado, das Anfang der 1970er mit einem 7,5-Liter-V8 mit 385 PS Leistung aufwarten konnte. In der gleichen Liga spielte der Pontiac Firebird, der sich bis zum Produktionsende 2002 zu einem der erfolgreichsten Modelle der Marke entwickeln sollte und der sogar in der populären Fernsehserie Knight Rider eine Hauptrolle spielte. KITT, genauer: der Knight Industries Two Thousand – im echten Autoleben ein Pontiac Firebird Trans Am, Baujahr 1982 – war ein nach heutigen Begriffen „autonomes“ Roboterauto, das unter anderem mit Raketenabtrieb und Emergency Braking System die Phantasien des technologischen Fortschritts bediente. Dass in Deutschland die Fachpresse den amerikanischen Dickschiffen häufig ein schwammiges Fahrwerk und vergleichsweise schlechte Bremsen nachsagte, dürfte in der Praxis niemanden gestört haben. Von dicken Autos träumen war in Ordnung, aber sich so ein Auto ernsthaft in die Garage stellen?
Die US-Autobauer hatten lange Zeit ein zwiespältiges Verhältnis zu Europa
Wer sich trotzdem an das Abenteuer eines Imports wagen wollte, brauchte einen langen Atem und tatkräftige Unterstützung durch einen engagierten Autohändler. Die US-Autobauer hatten jedenfalls viele Jahrzehnte lang ein zwiespältiges Verhältnis zu den Märkten des alten Kontinents. Manche wagten zwar den großen Sprung über den Teich, blieben für eine gewisse Zeit oder verschwanden gleich ganz von der Bildfläche. Aus dem Rahmen fallen in dieser Hinsicht Ford und die GM-Tochter Opel: Beide produzierten in Deutschland und wurden von der Kundschaft gar nicht erst als amerikanische Marken wahrgenommen, weil sie letztlich deutsche Autos bauten. Für Chrysler dagegen blieb das Engagement Ende der 1950er beim französischen Hersteller Simca und in den 1960ern bei den englischen Automarken Hillman, Sunbeam, Singer und Humber nur ein Zwischenspiel. 1978 musste man aufgrund wirtschaftlicher Probleme die europäischen Aktivitäten an Peugeot verkaufen.
Die Marke Oldsmobile wiederum hat den europäischen Kontinent offiziell nie betreten. Modelle wie der Pontiac Firebird kamen nur in homöopathischen Dosierungen von wenigen hundert Einheiten pro Jahr in den Export. Weitere Strategien für den Vertrieb seiner renommierten Marken konnte sich GM aber spätestens nach der Jahrtausendwende schenken. In den schwierigen Jahren vor und nach dem Bankrott 2009 regierte der Rotstift das Markenportfolio: Nach Oldsmobile 2004 war Pontiac 2009 an der Reihe, sich aus der aktiven Firmengeschichte zu verabschieden. Die australische Marke Holden – seit 1931 im Portfolio und in den 1960er und 1970er-Jahren für ihre V6- und V8-Motoren bekannt – wurde 2021 eingestellt.
Auch für Marken aus Südkorea und Japan ist Europa ein schwieriges Pflaster
Mit Chevrolet unternahm GM 2005 einen neuen Anlauf Richtung Europa. Dabei spielte die schon länger mit GM eng verbundene Marke Daewoo eine tragende Rolle. Die Südkoreaner hatten selbst Mitte der 1990er den europäischen Markt mit weitgehend von der Opel-Baureihe Kadett abgeleiteten Fahrzeugen im Visier. Nach der Insolvenz 2002 und der Übernahme durch GM wurden die Autos seit 2005 auf die Marke Chevrolet umgelabelt und der Name Daewoo auf Eis gelegt. 2015 kam dann für Chevrolet das weitgehende Aus in Europa. GM stellte den bis dahin wenig rentablen Vertrieb ein. Über die regulären Kanäle lassen sich heute nur noch die Modelle Camaro und Corvette bestellen.
Auch der japanische Automobilhersteller Daihatsu hatte es nicht leicht. Das durchaus innovative Unternehmen – seit 1998 Teil von Toyota – hatte Ende der 1970er in Brüssel eine Europa-Niederlassung eröffnet, um den Markt mit kleinen und sparsamen Autos aufzurollen. Mit der Konkurrenz zu 2 CV, Renault R4 und Fiat 126 ließ sich auf Dauer aber kein Durchbruch erzielen. Bereits 2013 wurde der Neuwagenvertrieb in Europa eingestellt. Auch Nissan stand mit seiner Marke Datsun ein Schiffbruch bevor, der zum Teil allerdings selbst verschuldet war. Die Japaner starteten 1973 das Deutschlandgeschäft mit dem Mittelklasse-Modell Datsun Cherry, dem später noch Modelle wie 120Y und Laurel folgten. Auch der in Amerika enorm erfolgreiche Sportwagen Datsun Z kam zu den Händlern. Allerdings mit nur sehr wenigen Einheiten, weil Nissan damals seine Prioritäten doch auf andere Märkte legte. 1981 stellte Nissan die Marke Datsun fürs Europageschäft ein. Und zwar weniger aufgrund des Desinteresses der Kunden, sondern weil die Marke im Konzern selbst schon lange umstritten war. Dagegen waren rund ein Vierteljahrhundert später die Ambitionen mit der Edelmarke Infiniti deutlich höher. Nissan wollte den Platzhirschen wie Mercedes-Benz und BMW auf Augenhöhe begegnen und setzte dazu auf attraktive Modelle wie den Infiniti FX50, den Infiniti G und den Infiniti EX. Der Absatz in Europa blieb aber überschaubar. In Deutschland etwa fand Infiniti innerhalb eines Jahrzehnts nur rund 7.000 Käufer. 2020 beendeten die Japaner dann schließlich den Vertrieb in Westeuropa.