Abfallentsorgung: Auf dem Weg zu „Zero Waste“
Author: Joachim Geiger
Richtlinien und Verordnungen für den nachhaltigen Umgang mit Abfall und Entsorgung gibt es in Europa viele. Wie aber können Unternehmen ein abfallfreies Management umsetzen? Eine spezielle DIN-Norm in Sachen „Zero Waste“ liefert den perfekten Leitfaden.
Das Nachhaltigkeitsmanagement in betrieblichen Abläufen rückt immer mehr in den Fokus. Was wäre zum Beispiel von einem Unternehmen zu halten, das beim Abfall- und Wertstoffmanagement seinen Status quo und den seiner Lieferanten kritisch hinterfragt, um den Umfang und die Gefährlichkeit von Abfall konsequent zu vermeiden oder zu reduzieren? Das auf einen transparenten Umgang mit seinen Ressourcen setzt, auf Abfallvermeidung, Reparaturen, Wiederverwendung, Kompostierung, Fermentierung und Recycling? „Zero Waste“ heißt das visionäre Konzept, das einen handfesten Mehrwert für Gesellschaft und nachkommende Generationen propagiert.
Gewerbebetriebe sind für ihre Abfallentsorgung selbst verantwortlich
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) geht in einem im April 2023 veröffentlichten Bericht zur Abfallwirtschaft davon aus, dass es in Deutschland über 3,6 Millionen Gewerbebetriebe gibt, die für die Entsorgung ihrer Abfälle zur Verwertung selbst verantwortlich sind. Andererseits ist das Ziel einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft durch Vermeidung und Recycling von Abfällen nicht ganz neu – immerhin verlangt die Europäische Union mit der 2018 novellierten Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/851) von ihren Mitgliedsländern, dass sie sich bei der Umsetzung in nationales Recht genau dafür ins Zeug legen. Ist „Zero Waste“ also eine Idee, die sich in der Praxis verwirklichen lässt?
Kann „Zero Waste“ als Vorbild für nachhaltige Kreisläufe dienen?
„‚Zero Waste‘ ist im Prinzip eine Idealvorstellung, die aber als Vorbild für nachhaltige Kreisläufe dienen kann. Konkret geht es darum, die eingesetzten Ressourcen so lange wie möglich im Kreislauf zu halten und den nicht verwertbaren Abfall zu minimieren“, erklärt Andreas Biermann, Leiter Logistik, Ver- und Entsorgung bei DEKRA Certification. Biermann, der seinen ersten Entsorgungsfachbetrieb im Mai 1997 zertifiziert hat, ist nicht nur ein Urgestein der Branche, er hat als Entsorgungsexperte auch tatkräftig bei der Entwicklung einer Norm mitgearbeitet, mit der Organisationen den Reifegrad ihres Abfall- und Wertstoffmanagements messen und verbessern können. „DIN SPEC 91436“ heißt diese im Mai 2021 veröffentlichte Norm. Der Titel des technischen Regelwerks lautet „Referenzmodell zum betrieblichen Abfall- und Wertstoffmanagement, ausgerichtet an einer Vision ‚Zero Waste‘“.
Eine DIN SPEC ist eine sehr spezielle Norm
Im Normenwerk des Deutschen Instituts für Normung (DIN) würde man diese Norm vergeblich suchen. Normen mit dem Zusatz „SPEC“ (englisch: specification) gehören grundsätzlich nicht zum Kanon der offiziellen DIN-Normen. Trotzdem sieht eine DIN SPEC aus wie eine reguläre Norm, liest sich wie eine reguläre Norm und bietet obendrein die Möglichkeit einer entsprechenden Zertifizierung. Entscheidender Unterschied zur offiziellen DIN-Norm: Sie wird nicht vom DIN-Institut selbst entwickelt, sondern von einem eigens gegründeten Konsortium von Marktteilnehmern. Bei „Zero Waste“ war die treibende Kraft eine internationale Handelsgruppe mit 550.000 Mitarbeitern in 32 Ländern im Bereich Lebensmittelhandel. Dem Konsortium gehörten neben weiteren Unternehmen der Branche unter anderem das Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der TU Dresden und DEKRA Certification an. Das DIN wiederum hat das Projektmanagement übernommen und die eigenen Ressourcen zur Verfügung gestellt.
Ganzheitliches Referenzmodell: Das regelt die Norm
„Die Arbeit an der DIN-Norm hatte ihre eigenen Regeln und Herausforderungen. Allein die Sprache und die Verweise auf bereits bestehende Normen waren unglaublich komplex“, erinnert sich Biermann. Das Regelwerk weist trotz seines visionären Charakters einen starken praktischen Bezug auf. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das initiierende Unternehmen die Norm auch in den eigenen Filialen auf internationaler Ebene umsetzen wollte. Aus Sicht von Andreas Biermann hat sich die Arbeit an der Norm gelohnt. Ihr Herzstück ist ein ganzheitliches Referenzmodell, das dem Anwender eine sorgfältig ausgearbeitete Leitlinie an die Hand gibt, mit der sich die nötigen organisatorischen Prozesse und Strukturen aufbauen und gestalten lassen. Dabei folgt das Dokument einem roten Faden: Die Vermeidung von Ressourcen geht vor der Wiederverwendung, die Wiederverwendung geht vor Recycling und Recycling vor sonstiger Verwertung wie Vergärung oder Kompostierung. Auf Deponierung und Verbrennung soll nach Möglichkeit vollständig verzichtet werden.
In der Realität kann die Vision „Zero Waste“ an Systemgrenzen stoßen
Allerdings hat die Norm gewisse Grenzen, wie Andreas Biermann einräumt. Es gibt Abfallarten, die verbrannt werden müssen oder die sich nicht recyclen lassen: In einem Krankenhaus etwa landen Spritzen und Verbandszeug aus der täglichen Patientenversorgung aus rechtlichen Gründen stets in der Verbrennung. Und für Werkstoffe wie Karbon, das im Fahrzeugbau und bei der Herstellung von Windrädern zum Einsatz kommt, gibt es bis heute keine Möglichkeit, das Material in größerem Stil zu recyclen. Unterm Strich funktioniert die Norm jedoch für viele Betriebe.
DEKRA zertifiziert Unternehmen bei der Mission „Zero Waste“ nach der Norm DIN SPEC 91436 – dazu finden eine Dokumentenprüfung sowie ein Audit vor Ort statt, um zu überprüfen, ob der Werkstoffkreislauf den Anforderungen entspricht. Mehr Informationen finden Sie hier
https://www.dekra.de/de/wertstoff-und-abfallmanagement-beratung/